Sehr geehrter Herr Director!
Meinen verbindlichsten Dank für die liebenswürdige ÜbersendungHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Georg Stollberg an Wedekind, 18.4.1903. Wedekinds „Marquis von Keith“ war am Münchner Schauspielhaus inszeniert worden, mit ihm in der Titelrolle und unter seiner Regie zusammen mit Fritz Brüggemann, dem Vorsitzenden des Akademisch-Dramatischen Vereins, der die Inszenierung veranstaltet hatte (Premiere am 20.10.1902 vor geladenem Publikum als geschlossene Vorstellung, am 27.10.1902 eine öffentliche Vorstellung). Georg Stollberg, Direktor des Münchner Schauspielhauses, dürfte Wedekind das für diese Inszenierung benutzte Exemplar des Stücks zurückgeschickt haben – womöglich mit Blick auf die anstehende Wiener Premiere des „Marquis von Keith“ am 29.4.1903 im Theater in der Josefstadt.
des Marquis v. Keith. Mir geht es soweit vorzüglich bis auf den HausarrestWedekind hat sich am 10.4.1903 das Bein gebrochen [vgl. Wedekind an Korfiz Holm, 12.4.1903]; darüber hat die Presse in Hamburg – „Frank Wedekind glitt in München auf der Straße aus und erlitt einen Beinbruch“ [Neue Hamburger Zeitung, Jg. 8, Nr. 176, 16.4.1903, Abend-Ausgabe, S. (1)] – und Wien – „Schriftsteller Franz Wedekind ist in München auf der Straße gefallen und hat sich den Fuß gebrochen“ [Die Zeit, Jg. 2, Nr. 197, 17.4.1903, Morgenblatt, S. 7] – berichtet., dem
ich mich für die nächsten Wochen noch geduldig unterziehen muß. Von Ihrem
überaus freundlichen Anerbieten, mir jemand aus Ihrem geschätzten PersonalLili Marberg war seinerzeit als Schauspielerin am Münchner Schauspielhaus engagiert [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 441]. Sie hatte in der Inszenierung des „Marquis von Keith“ am Münchner Schauspielhaus unter der Regie von Wedekind und Fritz Brüggemann (siehe oben) die Rolle des Hermann Casimir gespielt und Wedekind die Titelrolle [vgl. Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 487, 20.10.1902, General-Anzeiger, S. 1]. zur |
Pflege überlassen zu wollen, würde ich im Notfalle mit Vergnügen Gebrauch
machen. Ich würde Sie dann speziell ersuchen, Fräulein Lili Marberg ein
vierzehntägiges Gastspielscherzhaft gemeint. Wedekind rechnete also damit, noch zwei Wochen wegen seines Beinbruchs zuhause bleiben zu müssen. Er war in diesen Tagen offenbar guter Stimmung, wie Max Halbe am 26.4.1903 notierte: „Besuche Wedekind, der das Bein gebrochen hat, finde ihn fröhlich und philosophisch“ [Tb Halbe]. bei mir absolvieren zu lassen, vorausgesetzt
natürlich, daß die Dame einem lahmen Autor ihre uneingeschränkte
Kunstbegeistung Schreibversehen, statt: Kunstbegeisterung.entgegenzubringen vermag. Ungemein gefreut habe ich mich über
die gepfefferte FestnagelungDas „Berliner Tageblatt“ hatte zwei Tage zuvor einen offenen Brief von Joseph Schürmann, Impresario der Sängerin und Schauspielerin Georgette Leblanc, die Lebensgefährtin von Maurice Maeterlinck, bissig kommentiert; die redaktionelle Vorbemerkung lautet: „Ein Geschäftsmann von seltener ‚Tüchtigkeit‘ ist offenbar der Impresario der Madame Maeterlinck, Herr Schürmann. Unser Münchener Korrespondent teilt uns die folgende Probe seiner gewinnenden Geschäftsführung mit: Herr Schürmann bot der Direktion des Schauspielhauses in München ein neues Gastspiel der Madame Georgette Leblanc-Maeterlinck für den Herbst dieses Jahres an; da das erste Gastspiel den erwarteten künstlerischen und materiellen Erfolg keineswegs gehabt hat, lehnten die Direktoren Stolberg und Schmederer das Anerbieten ab. Damit wäre die Angelegenheit für jeden anderen erledigt gewesen, denn einen widerwilligen Direktor kann man schließlich doch zu seinem Glück nicht zwingen; Herr Schürmann aber dachte anders. Er schrieb der Direktion des Münchener Schauspielhauses einen Brief, in dem es unter anderem hieß:“ es folgt der Brief (siehe unten); die redaktionelle Nachbemerkung lautet: „Das ist ein Brief, der Herrn Schürmann eine gewisse Aehnlichkeit mit Monna Vanna gibt: beide zeigen sich ohne Mantel. Nur fürchten wir, der Impresario wird sich bei dieser Gelegenheit erkälten; es dürften sich wenige Bühnen in Deutschland finden, die sich von dem Diktator Schürmann in dieser sonderbaren Weise behandeln lassen. Und für die wenigen, die wirklich schon ‚Joyzelle‘ für Georgette eingetauscht haben, ist das Gastspiel der Madame Maeterlinck nun, nachdem man weiß, wie’s gemacht wurde, doppelt verdorben.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 32, Nr. 195, 18.4.1903, Abend-Ausgabe, S. (2)] des Schürmannschen SchreibensDer vom „Berliner Tageblatt“ mit einem bissigen Kommentar (siehe oben) versehene und gekürzt abgedruckte offene Brief des Impresarios Joseph Schürmann lautet: „Wie Sie wissen werden, ist von jetzt an das Maeterlinck-Repertoir in deutscher Sprache mein Eigentum, und selbstverständlich gebe ich nur das Aufführungsrecht in deutscher Sprache an die Bühnen, wo man für die Vorstellungen der Frau Maeterlinck kontrahiert. Soll ich das Aufführungsrecht für ‚Joyzelle‘, das neue Stück, das beste, was Maeterlinck je geschrieben, einer anderen Bühne übergeben? Ich erbitte hierüber Ihre umgehende Entschließung. Entweder Sie acceptieren den Vertrag für Frau Georgette Leblanc-Maeterlinck am 20./21. November und bekommen das Aufführungsrecht für ‚Joyzelle‘ in deutscher Sprache (dieselben Bedingungen wie ‚Monna Vanna‘) – oder Sie lehnen die Vorstellungen ab und damit auch für immer das Aufführungsrecht über Maeterlinck-Stücke. Erwarte Ihre umgehende Antwort.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 32, Nr. 195, 18.4.1903, Abend-Ausgabe, S. (2)] Die Münchner Presse hat den von der Direktion des Münchner Schauspielhauses an die Zeitungsredaktionen versandten Brief von Joseph Schürmann an die Direktion des Schauspielhauses (geschrieben in Paris, 15.4.1903) vollständig abgedruckt [vgl. La bourse ou la vie! In: Allgemeine Zeitung, Jg. 106, Nr. 107, 18.4.1903, 3. Abendblatt, Münchner Stadt-Anzeiger, S. 3; Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 56, Nr. 182, 19.4.1903, S. 3]. im Berliner
Tageblatt. Sie denken sich vielleicht, mein Autoren-Neid | freue sich darüber,
daß der AufführungMaurice Maeterlincks Stück „Monna Vanna“ (1902) hatte am 27.9.1902 am Münchner Schauspielhaus deutschsprachige Premiere gehabt (übersetzt von Friedrich von Oppeln-Bronikowski) und stand noch immer auf dem Spielplan. Ein „Gastspiel der Madame Georgette Leblanc-Maeterlinck mir ihrer französischen Gesellschaft“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 56, Nr. 70, 12.2.1903, Morgenblatt, S. 2] mit Georgette Leblanc in der Titelrolle der französischsprachigen Originalfassung von „Monna Vanna“ fand ‒ annonciert als „Tournée Schürmann. [...] Gala Mme. Georgette Leblanc (Madame Maeterlinck)“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 56, Nr. 74, 14.2.1903, General-Anzeiger, S. 1] ‒ am 13. und 14.2.1903 am Theater am Gärtnerplatz statt, wie das Münchner Schauspielhaus unter der Direktion von Georg Stollberg und Cajetan Schmederer [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 441]. eines Maeterlinkschen Stückes Schwierigkeiten erwachsen;
thatsächlich gilt mein Mitgefühl aber mehr unserer Münchner
Schauspielkunst, die ich liebe und hochschätze, gegenüber den mit ungeheurem
Reklameaufwand importirten fremden Sensationsnummern.
Darf ich Sie bitten, an
Frau Director Stollberg meine ergebenste Empfehlung ausrichten zu wollen.
Mit besten Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.
20 April 1903.