Lieber Franklin!
Ich
danke Dir herzlich für Deinen
Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 13.10.1881. der mir rechtes Vergnügen
macht.
Du meinst man könne Alles
beweisen, die Sophisten„zur Zeit des Perikles und Sokrates eine Klasse von Philosophen, welche den Unterricht in der Philosophie nicht als Sache der freien Mittheilung trieben, sondern denselben, meist von Ort zu Ort reiselnd, um Geld ertheilten. Die Sophistik, welche Platon und Aristoteles als die Kunst, mit Hintansetzung ernsten wissenschaftlichen Sinnes den leeren Schein des Wissenes zu erregen bezeichnen, entwickelte sich zunächst aus dem Streben, dem Gedanken und der Sprache durch Beigsamkeit und Gewandtheit für politische Zwecke die möglichste Kraft, nicht sowohl der Ueberzeugnung als der Ueberredung, zu geben“ [Meyers Konversations-Lexikon, 3. Auf., Bd. 14, Leipzig 1878, S. 756].
hätten das schon gewußt. Nun ja, was man so beweisen nennt! Die Beweise sind danSchreibversehen, statt: dann. auch danach. Kennst Du Die
4. Form des SylogismusSchreibversehen, statt: Syllogismus. – (griech.) logischer Schluss; Grundbaustein der Aristotelischen Logik; von den 256 möglichen Syllogismen sind nur 24 gültig, diese werden mit Merkwörtern bezeichnet.?
Als ein oft | cittirtesSchreibversehen, statt: citirtes.
Beispiel sophystischerSchreibversehen, statt: sophistischer.
Beweis-Kunst schreibe ich ihn hier für den Fall daß Du ihn nicht kennst:
Die Gans ist ein zweibeinig
Thier.
Der Mensch ist ein zweibeinig Thier.
Ergo: ist der Mensch eine Gans.
Das ist nun grob und
handgreiflich, aber in der wissenschaftlichen u. philos. Polemik wird nur zu
oft ähnlich „bewiesen“, und der Beweis hält gerade so
lang, bis man sich die Mühe nimmt den KneuelSchreibversehen, statt: Knäuel. der falschen Sylogismen zu entwirren.
Freundlichen Gruß!
O. PlümacherOlga Plümacher, geborene Hünerwadel, war eine Jugendfreundin Emilie Wedekinds im Züricher Vorort Riesbach. Zusammen mit ihrem Mann Hermann Eugene Plümacher gründete sie Ende der 1860er Jahre die Schweizer Kolonie Beersheba Springs in Tennessee (USA). 1878 kehrte sie mit ihren Kindern Hermann und Dagmar Plümacher in die Schweiz zurück, wohnte zunächst in Lenzburg, ab Sommer 1878 in Stein am Rhein, zeitweise in Schaffhausen, wo Hermann Plümacher das Gymnasium besuchte, und wieder in Stein am Rhein, wo sie ein Mädchenpensionat führte. 1886 reiste sie mit ihren Kindern zum Ehemann nach Venezuela, wo der Sohn Hermann starb. 1888 kehrte Olga Plümacher mit ihrer Tochter zurück nach Beersheba Springs. Als Autodidaktin hatte Wedekinds ‚philosophische Tante‘ die Philosophie, insbesondere Arthur Schopenhauers und Eduard von Hartmanns studiert, veröffentlichte neben zahlreichen Aufsätzen mehrere philosophische Bücher (Der Kampf um’s Unbewusste. Berlin 1881; Zwei Individualisten der Schopenhauer’schen Schule. Wien 1881; Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart. Geschichtliches und Kritisches. Heidelberg 1884), von denen unter anderem Friedrich Nietzsche und Samuel Beckett beeinflusst wurden..