München 18. März 1916.
Lieber Artur!
Die atemlose Spannung mit der wir den Ausgang von VerdunDie Schlacht um Verdun, begonnen am 21.2.1916 durch eine Offensive des deutschen Heeres, um an der Westfront eine Entscheidung des Krieges herbeizuführen, endete ohne diese Entscheidung erst am 21.2.1916. Die Schlacht gilt als sinnbildlich für die Schrecken des Ersten Weltkriegs. Der nahe Mülhausen stationierte Artur Kutscher wurde am 14.3.1916 „dorthin verladen.“ [Kutscher 1960, S. 115]
erwarten läßt uns kaum mehr zur Besinnung kommen. Trotz des prachtvollen
Frühlingswetters ein ununterbrochener schwerer Druck unter dem man sich mühsam
hinschleppt. ZusammenkünfteWedekinds Tagebuch dokumentiert die häufigen Treffen mit Kurt Martens, Joachim Friedenthal und Heinrich Mann, vor allem im Café Luitpold. mit Martens, Friedenthal, Heinrich Mann Meyrink
sind die kurzen Unterbrechungen, meist im Café | Luitpold. Die beiden BilderArtur Kutscher hat Wedekind offenbar Fotos von sich als Soldat geschickt, wohl als Beilage zum verschollenen Brief vom 13.3.1916 (siehe unten).
haben mir große Freude gemacht. Ich denke daran das eine auf dem Du die Mitte
hältst so vergrößern zu lassen, daß man es aufhängen kann. Eine Freude war mir
auch was Du über Bismarck schreibstHinweis auf einen nicht überlieferten Brief; erschlossenes Korrespondenzstück: Artur Kutscher an Wedekind, 13.3.1916.. Ich weiß mit wie großem Wohlwollen Du
meine Arbeiten aufnimmst. Der Zensor in Berlin hat seine Freigabe wieder
zurückgezogenWedekind notierte am 27.1.1916: „Bismarck-Erlaubnis in Berlin zurückgenommen.“ [Tb] Ob das Schauspiel zuvor freigegeben wurde, darf bezweifelt werden [vgl. KSA 8, S. 861]. Das Deutsche Theater (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin hatte am 8.12.1915 bei dem Berliner Polizeipräsidenten Curt von Glasenapp eine Genehmigung zur Aufführung von „Bismarck“ erbeten, die in einem Schreiben vom 7.1.1916 vorläufig verweigert wurde und das Theater das Genehmigungsgesuch daraufhin am 28.1.1916 zurückzog [vgl. KSA 8, S. 863]. Wedekind hat die Zensurmaßnahme gegen sein Stück in einem früheren Brief bereits angesprochen [vgl. Wedekind an Artur Kutscher, 29.1.1916].. Aber so lang man noch zu leben hat, ist das in dieser Zeit | ja
auch beinah gleichgültig. Mit Friedenthal habe ich längst über Dein
Kriegstagebuch gesprochen. Er sagt, Felix Lorenz habe die Besprechung für das
Berliner Tageblatt übernommen. Ich habe bis jetzt aber noch nichts im B. T.
gelesen. Wenn ich etwas finde schicke ich es Dir sofort. Meine Frau und ich
haben eben ein Gastspiel von 20 VorstellungenIm Rahmen des Wedekind-Zyklus an den Münchner Kammerspielen vom 12.2.1916 bis 11.3.1916 [vgl. Tb] stand zuerst „Marquis von Keith“ auf dem Programm (neun Vorstellungen am 12., 13., 16., 17., 22. und 24.2.1916 sowie am 2., 5. und 8.3.1916), es folgte „Hidalla“ (sechs Vorstellungen am 19., 20., 23., 25. und 29.2.1916 sowie am 9.3.1916) und „Erdgeist“ (fünf Vorstellungen am 26. und 27.2.1916 sowie am 1., 4. und 11.3.1916).
an den Kammerspielen hier in München absolviert. Davon bin ich noch etwas
abgespannt. Auch über die beabsichtigte Notiz über die FortsetzungDer zweite Teil von Artur Kutschers „Kriegstagebuch“ – „Vogesenkämpfe“ – lag im Sommer 1916 gedruckt vor [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 83, Nr. 151, 3.7.1916, S. 4382]. Deines | Tagebuches
sprach ich mit FriedenthalWedekind hat Joachim Friedenthal, Münchner Korrespondent des „Berliner Tageblatt“ [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1916, Teil II, Sp. 468], zuletzt am 16.3.1916 im Café Luitpold gesprochen: „C.L. Mit Friedenthal“ [Tb], davor täglich vom 13. bis 15.3.1916.. Als genauer Kenner der Dinge ist er nicht der
richtige Mann. Ich werde nächstens mit Jurinek sprechenWedekind wurde von Josef M. Jurinek, Redakteur und Schriftsteller in München (Landwehrstraße 58), Münchner Korrespondent der Berliner Tageszeitung „Tägliche Rundschau“ [vgl. Adreßbuch für München 1916, Teil I, S. 316] und Mitarbeiter zahlreicher anderer Zeitungen, öfters interviewt – zuletzt am 21.3.1915: „Jurinek interviewt mich“ [Tb] – und durch Pressebeiträge gewürdigt. Er hat im Zusammenhang mit der vom Drei Masken Verlag herausgebrachten Broschüre „Frank Wedekind und das Theater“ (1915), die einen Originalbeitrag „Wedekind-Statistik“ von Josef M. Jurinek enthält, mit dem Journalisten zusammengearbeitet, wie er am 20.10.1915 notierte: „Arbeite mit Jurinek an Broschüre 3. Maskenverlag“ [Tb]. Ein Gespräch mit ihm bald nach dem 18.3.1916 hat Wedekind nicht notiert; die nächste Begegnung ist erst am 28.12.1916 festgehalten: „Jurinek kommt am Abend zu mir“ [Tb]. wie in Mannheim mit
PetersWedekind hat mit Gustav Werner Peters, Feuilletonredakteur der „Neuen Badischen Landeszeitung“ [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1916, Teil II, Sp. 1283], während seines Gastspielaufenthalts in Mannheim vom 19. bis 25.1.1916 gesprochen, wie er in einem früheren Brief bereits angedeutet hat [vgl. Wedekind an Artur Kutscher, 29.1.1916], dem Tagebuch zufolge am 20.1.1916 („Werner Peters und Frau“), am 21.1.1916 („Durlacher Hof mit Peters“) und am 23.1.1916 („Zum Thee bei Peters“)., hoffentlich mit mehr Erfolg. Ob Du für Deine Liedersammlung einen
VerlegerDer im Jahr darauf angekündigte Band „Das richtige Soldatenlied. Verse und Singweisen mit Gitarrebegleitung im Felde gesammelt von Artur Kutscher“ (1917) erschien in der G. Grote’schen Verlagsbuchhandlung in Berlin [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 84, Nr. 54, 6.3.1917, S. 1613]. Dieser 1849 von Carl Müller-Grote gegründete Verlag hatte seinen Sitz seit 1877 in Berlin und wurde seit 1905 von Gustav Müller-Grote geführt. gefunden würde mich sehr interessieren. Ich freue mich sehr auf das
Werk.
Hoffentlich befindest Du Dich wohl und munter. Es heißt
jetzt allgemein, in einem halben Jahr werde das Ziel erreicht sein. Auf frohes
Wiedersehn mit herzlichen Grüßen von meiner Frau und mir
Dein alter
Frank Wedekind.
[Kuvert:]
Feldpostbrief.
An den Leutnant und Kompanieführer
Professor Dr. Artur Kutscher
II Armee
Res. Inf. Regiment 92
19. Res. Division
II Bataillon 8 Kompanie.
|
Absender: Wedekind
München Prinzregentenstraße