München, 20.XII.1902.
Sehr geehrte gnädige Frau!
Erlauben Sie mir, Ihnen den Ausdruck schrankenloser Bewunderung zu Füßen zu legen für den herrlichen Sieg, den Sie über das spröde ungefüge Material meines Stückes davongetragen haben. Ich hoffe nur, daß die Freude über diesen TriumphGertrud Eysoldt spielte in der später legendären „Erdgeist“-Inszenierung, die am 17.12.1902 unter der Regie von Richard Vallentin am Kleinen Theater „Schall und Rauch“ in Berlin Premiere hatte und Wedekinds erster größerer Theatererfolg war, mit großem Erfolg die Hauptrolle der Lulu. „Erst dank des Erfolgs der Berliner Premiere (1902) hält sich das Stück konstant im Spielplan der deutschen Bühnen. Der Berliner Aufführungserfolg [...] verdankt sich [...] vor allem auch der Interpretation der Rolle Lulu durch Gertrud Eysoldt.“ [KSA 3/II, S. 1203] Ihrer Kunst Sie einigermaßen entschädigt für die Opfer, die Sie an geistiger Arbeit, an Nervenanspannung und Aufregung dem Stücke dargebracht haben. Ich wünschte nur, ich könnte Ihnen alles das mündlich aussprechen und noch weit sehnlicher wünsche ich, Sie recht bald selber als Lulu bewundern zu können, mich davon überzeugen zu können, mit welchen Zaubermitteln Sie die Wuth des Publikums niedergehalten und siegreich überwunden haben. Aber heute AbendWedekind trat am 20.12.1902 in München mit seinen Liedern bei den Elf Scharfrichtern auf (Türkenstraße 28), bei der Premiere einer neuen „Ehrenexekution“ des Kabaretts. habe ich selber wieder in | meiner Rolle als Bänkelsänger Premiere und es werden wol noch einige TageWedekind war vermutlich spätestens am 28.12.1902 in Berlin [vgl. Wedekind an Kleines Theater Berlin und Edmund Reinhardt, 27.12.1902]. Welche „Erdgeist“-Vorstellung und wann er also Gertrud Eysoldt erstmals als Lulu sah, ist nicht ermittelt. vergehen, bevor ich mich frei machen kann. Wenn nur nicht bis dann schon wieder all die Mühe und Aufopferung, die das Stück gekostet hat, nutzlos geworden ist; aber auch dann bleiben Sie für Ihr Leben meines Dankes gewiß.
In größter Verehrung Ihr Frank Wedekind.
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Wedekind dürfte den Brief an das Kleine Theater in Berlin (Unter den Linden 44) adressiert haben, zu dessen Ensemble die Schauspielerin Gertrud Eysoldt gehörte, die in Berlin-Halensee wohnte (Bornimerstraße 10).
München20. Dezember 1902 (Samstag) Sicher
MünchenDatum unbekannt
BerlinDatum unbekannt
Es gibt keine Informationen zum Standort..
Frank Wedekind an Gertrud Eysoldt, 20.12.1902. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (01.07.2024).
Ariane Martin