Sehr geehrter Herr
Dreher!
wie ich Ihnen gestern sagteam 15.1.1904, vermutlich im Café Luitpold in München, wo der Hofschauspieler Konrad Dreher wohnte (Cuvilliésstraße 6) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1904, Teil I, S. 120], der zugleich Eigentümer, Direktor und Regisseur des Schlierseer Bauerntheater in Schliersee bei München war [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 443]. Konrad Dreher trat als beliebter Volksschauspieler und Gesangskomiker in zahlreichen (auch von ihm mitverfassten) Lustspielen, Possen und operettenartigen Gesangspossen außerdem am Theater am Gärtnerplatz in München auf [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 442]; sein letztes Gastspiel dort hatte am 28.11.1903 begonnen [vgl. Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 56, Nr. 558, 28.11.1903, General-Anzeiger, S. 1]., erlaube ich mir heute, Ihnen
ein Stück zu übersenden; ich thue es in der Erwartung, Sie möchten irgend etwas
darin finden, was Sie interessiertWedekind suchte Konrad Dreher für seine Jugendposse „Der Schnellmaler oder Kunst und Mammon“ (1889) zu interessieren, er suchte ihn „für eine Rolle“ in seinem Stück „zu gewinnen“ [KSA 2, S. 610]. Konrad Dreher freute zwar „das große Vertrauen“, musste Wedekind aber enttäuschen, da er „als Possen- und Operettenmensch nicht die Verantwortung für eine so literarische Aufgabe übernehmen wollte.“ [Konrad Dreher: Abreiß-Kalender meines Lebens. 2. Aufl. München 1930, S. 152], damit Sie nicht bedauern müssen, es
aufgeschlagen zu haben. Vielleicht erscheint es Ihnen zu kindlich; ich habe den
innerlichen Seelen-Humor darin zu entwickeln gesucht, als dessen größten
Meister ich Sie | kenne, der aber von der Menge nicht immer am höchsten
geschätzt wird. Den Eindruck, den Ihnen das Manuscriptdas „Schnellmaler“-Manuskript (siehe oben); es ist nicht überliefert. macht, auch wenn Sie es
nicht vollständig lesen, theilen Sie mir vielleicht einmal gelegentlich im „Luitpold“
mit. Ich bin kein ungeduldiger Autor und weiß aus eigener Erfahrung, wie lange
man oft keine Zeit, etwas zu lesen, findet.
In Bewunderung Ihrer Kunst, mit besten Grüßen Ihr
Frank Wedekind
München, 16. Januar
1903/4/.