Mondsee 8. Juni 1914.
Euer Hochwolgeboren!
Plötzlich zwingt es mich zum Schreiben, verzeihen Sie, es
kostet mich ein ungeheures Opfer es zu tun, doch im Interesse Friedrichs muß es
geschehen.
Wollen Sie mir gütigst die Aufklärung geben, in welchen
Beziehungen E.
Hochwolgeboren mit ihm seit OsternFriedrich Strindberg hatte seinen Vater in der Woche vor Ostern, am 4. und 5.4.1914, in München besucht und ihm dort sein Drama „Menschenrecht“ vorgelesen [vgl. Tb]. Anschließend stellte er es in Salzburg fertig und sandte eine Reinschrift an Wedekind [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.4.1914], der davon Typoskripte herstellen ließ und an seinen Sohn schickte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 29.4.1914]. Damit wollte sich Friedrich Strindberg zwecks Publikation an Verlage und Zeitschriften wenden. Zum Zerwürfnis mit Wedekind kam es, als er ihn zunächst darum bat, ihm das Stück widmen zu dürfen und Wedekind kurz darauf einen Erpresserbrief erhielt, den er mit Handlungselementen des Dramas in Verbindung brachte: Ein Familienvater hat eine Affäre mit einer Kellnerin [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 4.5.1914 und 8.5.1914]. Wedekind brach daraufhin den Kontakt zu seinem Sohn ab. stehen. Ich fürchte mich von dem Buben
beschwindelt u.
hintergangen zu sehen, indem er vorgibt es wäre alles im alten. Aber meine
Vernunft sagt mir „Nein“. Wie der Blödrian vor Ostern dies unglückselige Drama„Menschenrecht“ – Friedrich Strindberg hatte seiner Großmutter das Drama vorgelesen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 9.5.1914] und war von ihr aufgrund des Inhalts gewarnt worden [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 5.5.1914]. Offenbar erkannte sie in dem Stück allzu deutliche Anspielungen auf die familiäre Situation Wedekinds.
schrieb, war ich schon entsetzt, aber noch mehr, als er Ihnen dasselbe als
Ostergeschenk zu Ihrer größten Freude senden wollte. Alle Vorstellungen blieben wirkungslos, er konnte
nicht verstehen, daß das Ihr Glück, Ihre Hausehre tangiere, | er war sich
nämlich nichts bewußt, es war ja nur eine künstlerische Arbeit, u. ein Dichter wie Sie, kalkulierte
er, abstrahiert vom Stoff – also nur mit Gewalt konnte ich verhindern, daß er
das Manuskript nicht wegschickte, dafür aber tat er den heillosen Schritt in
Salzburgvon der Lehr- und Erziehungsanstalt für Schüler der Mittelschulen aus, die Friedrich Strindberg als Internatsschüler besuchte. u. sandte Ihnen den Entwurf. Als er mich davon verständigte, wußte
ich, er habe nun sein Glück begraben. Und ich bin überzeugt es ist so gekommen,
trotz Ableugnung, Lug u. Trug. Es ist ja begreiflich, es offenbart sich ein
höllischer Pfuhl von Gemeinheit u. Schlechtigkeit. Aber der Unglückliche hatte
jeden Maßstab der
Sittlichkeit verloren, nachdem er Franziska, Simson u. dgl. gelesen u.
sich vollgesogen hatte. | Offenbar wollte er Sie noch überholen. Ja, der Meister
kann den Schüler loben! Die Arbeit war nicht Ihres Sohnes Arbeit, sie war visionär – er selbst
sagte so – ein göttliches Weltgericht. Wie schade, daß Sie selbe nicht in ihrer
Totalität gelesen, um zum vollen Bewußtsein zu kommen. Friedrich ist nun ein
Verlorener, das Einzige, der Anhalt an Sie, die fanatische Liebe zu Ihnen,
gaben ihm den Ansporn nach Höherem zu streben, seine schlechten Neigungen zu
unterdrücken, er hatte das Ideal seines Herzens gefunden, u. nun ist’s trüber
u. finsterer in ihm als ehedem.
Aus seinen Briefen erkenne ich, daß die | Sonne seines
Lebens untergegangen ist. Na, so eine Tragik! Aber hoch geehrter Herr, seien
wir gerecht – ein Vater zieht seinen Sohn unter allen Umständen an sein Herz –
Sie kennen doch die Parabel mit dem verlorenen Sohnvgl. Lukas 15,11-32.! Ihr Sohn bedarfvon Marie Uhl dreifach unterstrichen. Ihrer, er hat Niemanden, wenn ich die
Augen schließe, u. das gar bald. Es handelt sich um das moralische Wohl Ihres
Kindes, für welches Sie mitverantwortlich sind. Bub kann noch ein
anständiger Mann werden unter Ihrer Aufsicht u. Leitung. Man darf ihn
nicht selbstSchreibversehen, statt: nicht sich selbst. überlassen, man muß ihn wie ein Mädchen hüten. Ich kann ihn Sommers über nicht zu mir nehmen,
weil soviele junge Dienstmädchen im Hause sind u. er ließe sich so gerne kirrenzähmen, gefügig machen..
Er muß bei Tschurtschenthaler bleibenFriedrich Strindberg verbrachte die Schulferien mit dem Direktor seiner Schule, Josef Tschurtschenthaler, in Sexten, Südtirol., sein Schmerz. |
II
Zweck meines Schreibens ist nicht, daß viell. Sie hochgeehrter
Herr ihn zu sich nehmen sollten, bewahre! nur daß Sie in liebevollenSchreibversehen, statt: liebevollem. Kontakt
mit ihm verbleiben, als Vater, als Freund, sowohl für sein Herz, als für seine
Zukunft sorgen. Es muß auf ihn gut eingewirkt werden, die Tugenden hochgehalten
u. das Laster verabscheut werden – – sieht er u. hört er dies von Ihnen,
dem liberal denkendsten der Menschen, dann glaubt er daran, Sie haben das leichteste
Spiel, jedes Wort verwandelt sich in Gold für ihn. | Friedrich soll Sie
einstens segnen als seinen Retter, nicht verfluchen, daß Sie ihm das Leben gegeben. Und
so ist die edle Sühne da, ist sie nicht wert Opfer zu bringen, die zugleich den
schönsten Lohn einschließen. Ihr Kind, Ihr Sohn, Ihr Blut – was wollen Sie
mehr, bedarf’s denn
eines Wortes?
Und so leben Sie wohl Verehrtester! Mit freundlichen Grüßen ergebenste
Marie Uhl