Mein lieber FischmannBerthe Marie Denks Hund, dessen Name durch Briefe von Karl Kraus an sie belegt ist. Karl Kraus, der den vorliegenden Brief unter der Überschrift „Frank Wedekind an einen Hund“ auch erstmals abgedruckt hat (siehe die Angaben zum Erstdruck), schrieb Berthe Marie Denk am 16.1.1907: „Ich bin gerade jetzt von allen Hunden gehetzt. (Was macht Dein Fischmann?)“; und in einem undatierten Brief schrieb er ihr: „Gestern habe ich Dich in Deinem stolzesten Kleid, den ganz unterwürfigen Fischmann zur Seite, gesehen.“ [Salvesen 1981, S. 135]!
Du wirst Dich nicht besonders wundern, daß ich Dir schreibe,
denn Du weißt ja jedenfalls, daß ich von unserer schönen süßen angebeteten
Herrin seit drei Wochenzurückgerechnet der 7.7.1905 – auf diesen Tag datiert in der Tat ein Brief der Geliebten [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 7.7.1905], dem aber zwei weitere Briefe gefolgt sind [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 11.7.1905 und 15.7.1905], die Wedekind somit übergangen hat – vielleicht aufgrund jener gewissen Missstimmung, die bei ihm aufgekommen ist, nachdem er den ersten dieser beiden Briefe erhalten hatte. keine Nachricht mehr erhalten habe. Nun quält mich aber
die Angst, unsere schöne angebetete Herrin könne vielleicht leidendBerthe Marie Denk hatte in der Tat gesundheitliche Probleme; sie war gerade in einer Kur, wie sie ihm aus Franzensbad in einem Brief schrieb, der sich mit dem vorliegenden überkreuzte [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 28.7.1905]. sein, sie
könne vielleicht zu Bett liegen müssen, | sie könne sich vielleicht nicht so
ihres Lebens freuen, wie sie es durch ihre tausend Reize verdient. Deshalb
bitte ich Dich, mein lieber Fischmann, mir sofort nur eine kurze Nachricht zu
senden, wie es unserer geliebten theuren Herrin ergeht. Deine SchriftBerthe Marie Denk hatte eine sehr gut lesbare Handschrift. werde ich
ja wol entziffern können, denn sie wird sich wie ich sie beurtheile nicht sehr
von der unserer schönen Königin unterscheiden. Bist Du, lieber Fischmann doch
das einzige Geschöpf auf dieser Welt, das unsere angebetete Göttin völlig ernst
| nimmt, und um diesen Vorzug bist Du wirklich zu beneiden. Sobald Du in Frage
kommst, hören plötzlich Scherz und Laune auf. Ich mag nicht sagen, wieviel
tausend Menschen sie um Dich, lieber Fischmann, freudig abgeschlachtet sehen
würde. Ich bitte Dich nur, unserer herrlichen Göttin nichts von meiner Liebe zu
ihr zu erzählen. Du fühlst ja wohl heraus wie es damit in mir aussieht. Aber
solche Dinge fallen ihr auf die Nerven. Im Vertrauen gesagt, steht es jetzt
thatsächlich so mit mir, daß ich die Augen | nicht mehr schließen kann, ohne
sofort von Allem, was sie innen und außen ist zu träumen. Ich bin hier noch bis
nächsten Mittwochder 2.8.1905. Wedekind hatte am 31.7.1905 sein vierwöchiges Gastspiel am Münchner Künstlerkabarett beendet – er notiert ein letztes Mal „Intimes Theater“ [Tb], am 1.8.1905 war er nochmals in der „Reitschule“ [Tb]; insofern war er danach durch kein Terminverpflichtungen mehr in München gebunden (der Besuch aus Wien von Karl Kraus und Carl Leopold Hollitzer am 1. und 2.8.1905 dürfte überraschend erfolgt sein und war auch kein Hindernis). gebunden. Wenn Du mir verrätst, wo Ihr dann seid, werde ich
den Versuch machen, sie zu versöhnen. Aber zeige ihr diesen Brief nicht. Sie
würde ihn furchtbar albern finden. Eigentlich sind wir doch Lebensgefährten;
unsere schöne Herrin führt uns Beide an der Leine, nur mit dem Unterschied, daß
Du eine bessere Erziehung genossen hast.
Mit herzlichsten Grüßen
Dein getreuer Freund und Bruder
Wedekind.
München, Franzjosefstraße 42.II. 28.7.5.