Lieber Walther,
ich erhielt gestern die ErbschaftspapiereWedekinds Tante Auguste Bansen, die jüngste Schwester seines Vaters, war am 15.12.1899 in Hannover kinderlos gestorben und „hinterließ ein reiches Erbe, das an ihre Nichten und Neffen fiel, pro Erbe und Erbin eine Summe von 5000 bis 6000 Mark“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 199], wie Emilie (Mati) Wedekind am 20.1.1900 an ihren Bruder Armin Wedekind schrieb. Die Erbschaftspapiere und das Begleitschreiben sind nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Hans Heiliger an Wedekind, 18.1.1900., würde
aber mit der notariellen Beglaubigung meiner Unterschriften gerne bis zu meiner
FreilassungWedekind wurde am 3.2.1900 aus der Haft auf der Festung Königstein entlassen, wo er wegen Majestätsbeleidigung seit dem 21.9.1899 inhaftiert war. warten, da mir dieselbe hier Umständlichkeiten verursachen würde.
Ich denke, daß es am 3 oder 6/5/ Februar noch früh genug dazu ist.
Sollte das eine Verzögerung herbeiführen, so theil | mir das bitte mit. Ich
habe dasselbe an den Rechtsanwalt in Hannover geschriebenMit der Nachlassverwaltung war die Anwaltskanzlei von Hans Heiliger in Hannover (Georgenstraße 7) [vgl. Adreßbuch der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover 1900, Teil I, S. 752] beauftragt. Wedekinds Schreiben ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Hans Heiliger, 19.1.1900..
Dein gütiges Anerbieten, mich bei der Sache zu
vertreten nehme ich also mit Dank an. Wenn ich mich in Dresden ein oder zwei
Tage aufhalte, so würde ich das so unauffällig wie möglich thun, wir könnten
uns treffen wo es Dir beliebt; ich möchte auf keinen Fall Mieze irgendwelche
Unannehmlichkeiten bereiten. EventuelSchreibversehen, statt: Eventuell. reise ich aber auch direct durch nach
München, Hamburg oder Berlin. In Berlin constituirt sich augen|blicklich eine
TheatertournéeWedekind, der 1898 an der ersten Tournee von Carl Heines Ibsen-Ensemble teilgenommen hatte, hoffte erneut auf eine Tournee mit Carl Heines Ensemble [vgl. Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 29.12.1899], der Plan realisierte sich jedoch nicht. Carl Heine, der mit Wedekinds Einakter „Der Kammersänger“ am 14. und 15.2.1900 im Leipziger Kristallpalast gastierte, war bereits mit seiner Truppe – die nunmehr als Dr. Heine-Ensemble firmierte – zu einer Europatournee aufgebrochen, die ihn wiederholt auch in die Niederlande führte. Wedekind gab im Rahmen dieser Tournee am 6.10.1900 in Rotterdam in der Titelrolle von „Der Kammersänger“ ein einmaliges Gastspiel. die hauptsächliche meine Stücke spielen will und die mich
als Regisseur engagiert hat. Eventuel muß ich aber vorher noch in Geschäften
nach München.
Nun noch einige Worte über Donald. Ich möchte
mich nicht gerne dem Verdacht aussetzen, als hätte ich seinem Wesen und Treiben
dir gegenüber irgendwie Vorschub geleistet. Ich habe ihm seit acht Monaten ein
einziges Mal geschriebenHinweis auf einen nicht überlieferten Brief; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 23.10.1899. Außerdem gratulierte Wedekind seinem Bruder schriftlich zu dessen Geburtstag am 4.11.1899 [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 3.11.1899], was als Korrespondenzstück ebenfalls nicht überliefert ist.; das war in der Affaire Frankfurtereine Affäre um den Rückkauf der von Donald Wedekind veräußerten Anteile am Haus Steinbrüchli in Lenzburg [vgl. Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 13.10.1899; Wedekind an Walther Oschwald, 31.10.1899]., wobei ich mich
allerdings, wie ich einsehe sehr sanguinischhier im Sinne von leichtsinnig. ausgedrückt | habe. Wenn er jetzt
das Geld bekommtaus dem Erbe der Tante Auguste Bansen. dann werde ich meinen ganzen Einfluß verwenden und aufs Spiel
setzen, damit er es zu dazu verwendet in geordnete Verhältnisse und zu
regelmäßigem Verdienst zu kommen. Deshalb möchte ich jetzt vorher auch
mein Pulver nicht verschießen.
In der Hoffnung daß bei euch alles wohl auf ist
und sich des Daseins freut bin ich mit den besten Grüßen an Mama und deine
liebe Frau
Dein
Frank.
Festung Königstein
20. Januar 1900.