Lieber Walther,
ich habe nach Aarau geschriebennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an die Stadtverwaltung Aarau, 17.5.1900. und hoffe das
PapierWedekind benötigte Papiere, die ihn vor dem Nachlassverwalter seiner am 15.12.1899 in Hannover verstorbenen Tante Auguste Bansen, dem Rechtsanwalt Hans Heiliger, als Erben legitimieren konnten. nächster Tage zu erhalten. Was unsere standesamtliche AnmeldungDie Einführung des staatlichen standesamtlichen Meldewesens erfolgte in Hannover erst ab dem 1.10.1874. in
Hannover betrifft, so hat Papa dieselbe selbst, in eigner Person
und vollkommen ordnungsgemäß vollzogen. Heiliger würde sie auch schon seit
6 Wochen aufgefunden haben wenn deine Nachricht von unserer Taufevgl. Wedekind an Walther Oschwald, 18.4.1900. nicht
dazwischen gekommen wäre. Daß die Anmeldungen unsre Namen nicht enthalten
wissen wir Alle seitdem wir auf der Welt sind. Erstens hat uns Papa das so und
so oft gesagt, | zweitens ist es nicht anders möglich, da ich m/z/. B.
meinen Namen erst mit dem sechsten Jahrwahrscheinlich mit der Einschulung im Auhagen’sche Institut in der Hildesheimerstraße 58 in Hannover [vgl. Niemann/Weber 1995, S. 49 u. 164], spätestens mit dem Umzug von Hannover nach Lenzburg im September 1872. erhalten habe, ebenso Armin und Willy
und drittens ist ordnungsgemäß bei der standesamtlichen Anmeldung keine Angabe
des Taufnamens erforderlich und darf nicht gefordert werden in einem
Christlichen Staat, da der Taufe dadurch ihre Bedeutung entzogen würde.
Alles was dir Mama über die Hebammengeschichtedie Anmeldung der Kinder durch die Hebamme statt den Vater. Später geht Wedekind von der Richtigkeit dieser Geschichte aus, als er in Hannover eine Geburtsbescheinigung für seine Eheschließung anforderte [vgl. Wedekind an das Pfarramt der Aegidienkirche, 1.3.1906].
erzähltEmilie Wedekind war seit der Geburt ihrer Enkeltochter Eva Oschwald im August 1899 zu Besuch bei ihrer Tochter Erika und ihrem Schwager Walther Oschwald in Dresden und konnte daher von diesem hinsichtlich des zu klärenden Identitätsnachweises für Frank Wedekind befragt werden. Oschwald berichtete davon offenbar in seinem letzten Brief an Wedekind, der nicht überliefert ist; erschlossenes Korrespondenzstück: Walther Oschwald an Wedekind, 17.5.1900. , ist abgesehen davon, daß es unmöglich ist, der baare Unsinn. Wenn aber
diese Geschichten nach Hannover colportirt werden können sie unsere
ordnungsgemäßen standesamtlichen Anmeldungen nur discreditiren, sowie uns deine
unrichtige Angabe über unsere Taufe discreditiren mußte. Glaube bitte nicht daß
ich dir irgend einen Vorwurf machen | möchte, dagegen wird es angezeigt sein,
Mamas Aussagen vorderhand nicht mehr zu berücksichtigen. Sie weiß alle diese
Dinge ebenso gut und genau wie ich. Sie hat aber offenbar irgend welches
Interesse die Sachlage zu verwirren. Wie kann sonst gerade von Deiner Seite die
vollständig aus der Luft gegriffene Angabe über unsere Taufe kommen, dazu mit
Details wie „Gartenkirche“Im Unterschied zu Frank Wedekind war seine Schwester Erika getauft worden. Die Taufe erfolgte am 23.10.1869 in der Gartenkirche in Hannover mit den Taufzeuginnen Friedrike Kettler, Auguste Bansen und Anna Wallmann, wie das Geburts- und Taufbuch der Kirche verzeichnet [vgl. Kreter 1995, S. 78]. Dieser Umstand war Wedekind offenbar unbekannt. versehen, die mich sogar für einen Moment stutzig
machen mußten und die Abwicklung um mindestens 4 Wochen verzögerten.
Ich bin eben im Begriff auf zwei Tage nach
Oberammergaumöglicherweise zur Eröffnung der Passionsfestspiele am 20.5.1900, die an diesem Sonntag von 15 bis 17 Uhr ihre erste Vorstellung hatten [vgl. Dillinger’s Reise- und Fremdenzeitung, Jg. 15, Nr. 15, 20.5.1900, S. 8]. zu fahren. Wenn es mir nach meiner Rückkehr möglich ist komme ich
auf einen Tag nach Dresden, um die Angelegenheit zu besprechen. Auf alle Fälle
bitte ich dich, Mamas Aussagen im höchsten | Grade zu mißtrauen, denn solche
Behauptungen wie die, daß unsere standesamtlichen Anmeldungen nicht von Papa
ausgegangen sonderSchreibversehen, statt: sondern. gegen seinen Willen durch die Hebamme vollzogen worden sein
können uns, abgesehen davon daß sie unwahr und unsinnig sind, den
größten Schaden zufügen.
Ich habe gar nichts dagegen und bitte dich sogar
darum, daß du Mieze diese Zeilen zeigst. Was dir dann unverständlich ist, wird
sie dir vielleicht erklären können.
Indessen mit herzlichem Gruß
Dein
Frank.
München 18. Mai 1900
Franz Josephstraße 42.II.