Lieber Walther,
ich muß jetzt mal anfangen mit der Eventualität
zu rechnen, daß Du am 1. Juli in die Schweiz gehst; zum mindesten möchte ich
mich durch diese Thatsache nicht überraschen lassen und bitte Dich, mir
mitzutheilen ob sich die ErbschaftZu der sich in die Länge ziehenden Erbschaftsangelegenheit siehe die vorangehende Korrespondenz Wedekinds mit seinem Schwager seit dem 6.1.1900. eventuell vorher noch erledigen lassen kann.
Am 30. Mai schriebst du mirvgl. Walther Oschwald an Wedekind, 30.5.1900., Du hältst die
Angelegenheit für soweit gediehen daß die Entscheidung nahe bevorstände. Du
giebst mir jetzt vielleicht zu, daß Du Dich | darin getäuscht hast. Das macht
mich auch deinen übrigen beruhigenden Versicherungen gegenüber sehr skeptisch.
Um die gleiche Zeit schriebst du mir, du habest dich mit einer Anfrage oder
Eingabe an das Kgl. Landgericht Hannover gewandt. Soll ich nun
wirklich daran glauben, daß dich die Behörde 14 Tage lang ohne Antwort läßt?
Das heißt Einem doch das unmögliche zumuthen – vorausgesetzt daß die Dinge, wie
Du annimmst, ihren ganz normalen Verlauf nehmen.
Du kannst dir gar nicht vorstellen, wo ich jetzt,
in dem Augen|blick, da ich eben im Begriff bin, emporzukommen unter dieser
fluchwürdigen Geschichte leide, wie viele der besten Chancen mir darüber
verloren gehen, daß ich nirgends zu Hause bin, daß ich des allermenschlichsten,
allereinfachsten Comforts entbehre. Und demgegenüber soll ich daran glauben,
daß es einem Beamten nicht möglich ist, sich innerhalb vier Wochen über den
Verlauf einer amtlichen Sache die geringste Klarheit zu verschaffen.
Schreib mir bitte, ob und wann Du in die Schweiz
gehst und ob Du selber noch damit rechnest, daß sich die Sache | allenfalls
vorher noch erledigen läßt.
Mit herzlichem Gruß Deiner baldigen Antwort
entgegensehend
Dein
Frank
München 15. Juni 1900
Franz Josephstraße 42.II.