Kennung: 4468

Schaffhausen, 23. April 1881 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Plümacher, Hermann

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Steindem Briefinhalt zufolge ein Schreibversehen, statt: Schaffhausen. – Olga Plümacher, geborene Hünerwadel, die ‚philosophische‘ Tante Frank Wedekinds und Jugendfreundin seiner Mutter, war mit ihren Kindern Hermann und Dagmar von Stein am Rhein etwa 20 Kilometer Rheinaufwärts nach Schaffhausen umgezogen, wo sie sich am 29.4.1881 anmeldete [vgl. Luchsinger 1989, S. 442]. d 23 Apr. 1881.


Lieber Franklin!

Nun bist du noch unter den L lebenden oder nicht, daß man nichts von dir hörtHermann Plümacher wurde am 21.4.1881 17 Jahre alt und hatte vermutlich spätestens zu diesem Anlass einen Gruß von dem wenige Monate jüngeren Freund erwartet.. Hoffentlich, hast du nicht mit dem Leben abgerechnet, oder hast du so LiebesschmerzenWedekind hatte andere Sorgen, bei der öffentlichen Übergabe der Jahreszeugnisse am 14.4.1881 war er nicht in die III. Klasse des Gymnasiums versetzt worden und hatte die Kantonsschule Aarau verlassen., daß, du gar nicht mehr an mich denkst? Also vergiß es nicht, sonst will ich böse werden mit dir, u dann les ich dir die LevitenRedewendung: ernste Vorhaltungen wegen tadelnswürdigen Verhaltens machen. in den Sommerferien.

Gottlob, alles ist überstanden, das Examenvermutlich die Prüfung für die mittlere Reife., die ComfirmationSchreibversehen, statt: Confirmation; in der evangelischen Kirche das Glaubensbekenntnis der Jugendlichen, die als Kinder getauft wurden., der Umzug nach Schaffhausen (od: Boellenopolis(schweiz.) Stadt der Zwiebeln; scherzhaft für Schaffhausen: „Und sind die Früchte rings verbrannt, sieht’s aus wie in der Höllen: im glücklichen Schaffhauserland gerieten doch die B.“ [Schweizerisches Idiotikon, Bd. IV, Sp. 1175 (Lied zum eidgenössischen Schützenfest in Schaffhausen 1865)]) u die PrüfungEingangsprüfung für neuaufzunehmende Schüler. in die IIte Klasse des (hies) Schaffhausen/r/ Gymnasiumwie die Kantonsschule Aarau bestand auch die Kantonsschule Schaffhausen aus einem Progymnasium (2 Klassen), Gymnasium (4 Klassen) und einer Gewerbeschule (4 Klassen).. | Ich bin definitiv drinnen, u am 2.tenam 2.5.1881. geht die Schule an.

Viel n/N/eues weiß ich nicht, auch nichts Interessantes, gar nichts, weiß ich, nicht ein mal ein e Liebesabenteuer,. Warum? Darum! weil ich kein Schatz hab.

Ich bin gesund u wohl, abgerechnet, eines Schnupfens. Bitte, schreib mir wie es Wille, Armin, Mize Dodda u Miledie Ruf- oder Kosenamen der fünf Geschwister Frank Wedekinds: William, Armin, Erika, Donald und Emilie. geht, u was du selber treibst.

Letzhin hab ich die Knallbaumwollechemischer Schulversuch: Etwas Watte wird mit Nitriersäure (Gemisch aus 100 ml konzentrierter Salpetersäure und 125 ml konzentrierter Schwefelsäure) in einer Porzellanschale übergossen. Nach zehn Minuten wird der Wattebausch so lange mit Wasser abgespült, bis das Waschwasser neutral reagiert (Test mit pH-Papier). Anschließend trocknet man die Schießbaumwolle auf einem Filterpapier. Die Baumwolle ändert ihre Konsistenz während der Reaktion nicht. Nach der Reaktion verbrennt sie rückstandslos unter Verpuffung schon bei Berührung mit einer heißen Fläche. bereitet. Ich nahm Watte, tauchte sie in concentrirte Salpetersäure u wußSchreibversehen, statt: wusch. sie aldSchreibversehen, statt: als. dann aus, das Resultat war daß es mir den ApperatSchreibversehen, statt: Apparat. zersprengte u jetzSchreibversehen, statt: jetzt. laß ich meinetwegen die verpönten Nihilistenrussische Anarchisten und Anhänger sozialrevolutionärer Ideen, denen seitens der russischen Regierung die Befürwortung eines gewaltsamen Umsturzes in Rußland und das tödliche Bombenattentat an Zar Alexander II. (13.3.1881) unterstellt wurde, was nicht unwidersprochen blieb: „Die Nihilisten sind die ärgsten Feinde der bestehenden Verhältniße“, aber daß sie „ganze Stadttheile in die Luft zu sprengen im Stande gewesen“ wären, daß sie „allein die Czarenmörder und in allen Schichten der Bevölkerung verbreitet seien,“ gehöre „zu jenen Erfindungen, welche die russische Regierung stets bei der Hand hat, wenn es gilt, ihre egoistischen Zwecke der übrigen Welt aufzudringen.“ [Kremser Wochenblatt, Jg. 26, Nr. 15, 9.4.1881, S. 1] solch Teufelszeug bereiten.

Nun b/l/ebe wohl lieber Franklin, bleibe gesund u wohl, u grüße die Deinen von mir u Dagi u Mamma vielmal.
Dein Freund
Herm. PlümacherHermann Plümacher, aufgewachsen in der Schweiz und der von seinem Vater Eugen Hermann Plümacher mitgegründeten Kolonie Grütli in Bersheba Springs (Tennessee), lebte seit 1877 mit der Mutter Olga Plümacher und der 3 Jahre jüngeren Schwester Dagmar wieder in der Schweiz, von wo die Familie Ende 1886 endgültig nach Bersheba Springs zurückkehrte [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 34]. Am 4.1.1878 wurde Hermann Plümacher zusammen mit Frank Wedekinds jüngerem Bruder William Lincoln, Heinrich Hünerwadel und Fritz Hünerwadel, Albert Walti, alle aus Lenzburg, in die I. Klasse der Bezirksschule Lenzburg aufgenommen. Im Juli 1878 zog Hermann Plümacher „mit seinen Eltern nach Stein AR“ (am Rhein) [Stadtarchiv Lenzburg, Schülerverzeichnis Knabenbezirksschule 1842-1899, Nr. 908; vgl. Nr. 903, 904, 922, 932]..

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Rautiertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13,5 x 21,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Die Seiten 1 und 2 mit dem Brieftext sind im Hochformat beschrieben. Seite 4 ist im Hoch- und Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 4 sind mit Bleistift eine physikalische Skizze und Zahlenkolonnen sowie mit Tinte mathematische Gleichungen notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Schaffhausen
    23. April 1881 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Schaffhausen
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Pharus I. Frank Wedekind. Texte, Interviews, Studien

Titel des Aufsatzes:
Frank Wedekind und Hermann Plümacher. Unveröffentlichte Briefe.
Autor:
Manfred Luchsinger
Herausgeber:
Elke Austermühl, Alfred Kessler, Hartmut Vinçon. Editions- und Forschungsstelle Frank Wedekind
Ort der Herausgabe:
Darmstadt
Verlag:
Verlag der Georg Büchner Buchhandlung
Seitenangabe:
425
Briefnummer:
1
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 129
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Hermann Plümacher an Frank Wedekind, 23.4.1881. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

19.02.2024 13:17