Bändlikon
den 22.sten Aug. 1868.
Mein lieber, guter Bäbiauch Bebi, Baby geschrieben; im Familienkreis Kosename für Frank Wedekind.!
Papa
hat nicht gewußt, daß Du auch schon schreiben kannst, darum hat er sich um so
mehr gefreut, als er auch von Dir einen kleinen Briefvgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 17.8.1868. erhalten hat. Papa hat jetzt gesehen, daß Du
schon ebenso gut schreiben kannst als Hammiim Familienkreis Kosename für Armin Wedekind, den ältesten Bruder Frank Wedekinds., wenn die liebe Mama Dir die Hand führt. Du schreibst aber
gar nichts vom Adalbert
und vom Max und vom
Berthold! Spielst
Du noch oft mit ihnen im GartenDer Garten in der Weißekreuzstraße 5 oder 6 in Hannover. Die Familie Wedekind wohnte bis Frühjahr 1868 in der Weißekreuzstraße 6 im Parterre (seit 1866 als Besitzer des Hauses) [vgl. Adreßbuch der königlichen Residenzstadt Hannover, 1868, Teil I, S. 418; S. 201 und Kreter 1995, S. 22f.]. Nachdem das Haus wieder an den Vorbesitzer Arnold Heinrich Henckell, den Vater Gustav und Karl Henckells ging, waren dort Henckells sowie Oberstabsarzt Dr. Korff mit Frau und 5 Kindern – darunter Adalbert, Max und Berthold – gemeldet, während die Wedekinds nun nebenan in der Weißekreuzstraße 5 wohnten [vgl. Adreßbuch der königlichen Residenzstadt Hannover, 1869, Teil I, S. 207]?
Papa ist jetzt in Bändlikon am Züricher See; wenn aber Mama Dir diesen Brief
vorliest, dann ist der Papa schon wieder von Bändlikon fortgereistVater Friedrich Wilhelm Wedekind hatte ursprünglich eine Badekur in Bendlikon machen wollen, wegen des regnerischen Wetters das Vorhaben aber aufgegeben [vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Emilie Wedekind, 17.8.1868 (Mü, Nachlass Frank Wedekind, Konvolut Burkhardt, Nidderau)]. und wohnt am Bodensee und dann
könnt Ihr erst recht singen: „Constanz liegt
am BodenseeAnfangszeile eines Kommers- und Studentenlieds; als Zweizeiler „Konstanz liegt am Bodensee; wer’s nicht glaubt, geh’ hin und seh’ zum geflügelten Wort geworden [vgl. Wander 1867-1880, Bd. 2, S. 1500]..“ Aber Piepchenim Familienkreis Kosename für Frank Wedekinds jüngeren Bruder William Wedekind.
muß auch mitsingen und wenn Du es ihm schön vorsingst, so wird er es auch schon
können. Gieb’ dem lieben Piepchen hunderttausend TuppiesKüsschen. – das sind viel, viele – und erzähle ihm oft
von Deinem Papa und daß Papa jetzt in Bändlikon ist, wo Du und Piepchen auch
schon gewesen sind. Wenn Papa wiederkommt, dann wird er Dir gewiß einen schönen
Säbel mitbringen und wir alle können dann zusammen wie die Soldaten marschiren
und der kleine Willi
kann mit der Trommel | dazuKustode („dazu | dazu“). trommeln. Wenn Du die liebe Omama besuchstOma Friederike Dorothea Kettler (geborene Stock, verwitwete Wedekind, verwitwete Kettler) wohnte in Hannover in der Breitestr. 31a, im II. Stock [vgl. Adreßbuch der königlichen Residenzstadt Hannover, 1868, Teil I, S. 304]., dann bringe ihr doch einen Gruß von Deinem
Papa und sage ihr: „Liebe Omama, ich soll Dich auch grüßen von meinem Papa.
Papa hat mir einen Brief von Bändlikon geschrieben und ist jetzt am Bodensee.
Von da reist er nach Stuttgart
und Würzburg und
dann kommt er wieder und bringt mir einen schönen Säbel mit.“ So mußt Du es der
lieben Omama erzählen; Du kannst ja so schöne Reden halten und wenn Du das
thust, dann freut Omama sich und der Papa auch. Wenn Papa erst mal wieder bei
Euch istFriedrich Wilhelm Wedekind kehrte am 5.9.1868 nach Hannover zurück., dann gehen
wir auch wieder öfters nach der List„Die List“ wurde ein Ausflugslokal mit Café und Restaurant genannt, das sich am ‚Lister Thurm‘ am Rand des Eilenrieder Stadtwalds an der Celler Straße 38 befand und ein beliebter Vergnügungsort in Hannover war. Von der Weißekreuzstraße 5 betrug die Entfernung zur List etwa 1,6 Kilometer, für Erwachsene bequem in 23 Minuten Gehzeit zu bewältigen. In einer Beschreibung Mitte der 1850er Jahre heißt es: „Dieser seiner angenehmen Lage wegen ausgezeichnete Vergnügungsort ist auch der am meisten besuchteste und besonders Sonntags und Donnerstags entfaltet sich hier die elegante Welt im vollsten Glanze. An diesen Tagen werden treffliche Concerte unter Leitung des Musikdirectors des Garde-Regiments, Sommerlatt, dessen Bestrebungen für musikalische Genüsse überhaupt rühmlichst bekannt sind, aufgeführt, nebst Illumination und Feuerwerk. Wer die Hannoveraner sich amüsiren sehen will, dem rathen wir, sich hier in die Gesellschaft zu mischen: da wird so manches Vorurtheil von Unzulänglichkeit und Abgeschlossenheit im gesellschaftlichen Leben der Hannoveraner schwinden“ [Der Führer durch die Residenz-Stadt Hannover und ihre Umgebungen. Für Fremde und Einheimische. Hannover (ca. 1855), S. 65f.]. und trinken eine Tasse Bouillon oder Eierbier„Man nehme ½ bis 1 l leichtes Bier und setze dieses mit einem Stück ganzen Zimmt, etwas Zitronenschale und einigen Stück Zucker aufs Feuer, inzwischen quirlt man in einem großen Topf 2 Eidotter mit 1 Tasse ungekochter Milch und gießt unter beständigem Quirlen das kochende Bier allmählich zu, stellt es in eine Kasserole mit siedendem Wasser, schlägt das Bier recht schaumig und serviert es in Tassen oder Gläser.“ [Kochschule und Ratgeber für Familie und Haus, Bd. 13, Nr. 47 v. 21.5.1904, S. 371; zitiert nach Vinçon 2021, Bd. 2, S. 19]. Das schmeckt so gut
und nachher suchen wir Kastanien, damit Piepchen damit spielen kann. Darum
freue Dich darauf, daß Papa bald wiederkommt und behalte immer recht lieb Deine
liebe Mama und Deinen lieben
Papa.
[Kuvert:]
Herrn Bäbi
Wedekind
aus und in
Hannover.