Kennung: 5353

Lenzburg, 30. Dezember 1885 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Emilie

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Mein vielgeliebter Babeinnerfamiliärer Kosename Frank Wedekinds (häufig auch: Bebi).!

Weihnachten, mit seinen Leiden und Freuden ist vorüber und nun mahnt einemSchreibversehen, statt: einen. der Anblick der Geschenke, als Beweise der Liebe, den Gebern zu danken. Den Nahen hat man seinen warmen Dank schon lange ausgesprochen allein Dir und der lieben guten Tante PlümacherOlga Plümacher wohnte seinerzeit in Stein am Rhein. muß man zu dem Zweck schreiben, damit Ihr gewahr werdet, daß Eure Absicht, Freude zu machen vollkommen erreicht worden ist. Die beiden Partiturenvgl. Frank Wedekind an Emilie und Friedrich Wilhelm Wedekind, 21.12.1885. haben mich sehr erfreut. Zwar ist es für mich etwas schwierig und nur mit Mühe gebe ich auf dem Clavier diese Kunstwerke wieder. D/E/igentlich stottere ich sie ungeschiktSchreibversehen, statt: ungeschickt. genug auf die/en/ Tasten herunter, aber dennoch erfüllt es mich mit großer Freude, wenn ich nach langem vergeblichem Suchen | altbekannte, liebe Melodien heraushöre, die mir ebenso willkommen sind, wie die Gesichter alter lieber Freunde, die man erst nach langem Sinnen unter den Runzenln wiedererkennt welche ihnen vom Alter gezogen wurden. Von Papa wirst Du wohl auch noch hören, wie sehr ihn das wunderschöne Bildeine Reproduktion von Raffaels Madonna della Sedia [vgl. Frank Wedekind an Emilie und Friedrich Wilhelm Wedekind, 21.12.1885]. erfreute. Nicht nur ihnSchreibversehen, statt: Nicht nur ihm. sondern uns allen war der Anblick ein hoher Genuß. Deßhalb danke ich Dir auch dafür tausendmal und zuletzt, aber nicht zum Wenigsten für Deinen, an uns Alle gerichteten schönen Briefvgl. Frank Wedekind an Emilie und Friedrich Wilhelm Wedekind, 21.12.1885., der so sehr seinen Zweck erfüllte, daß Alle davon gerührt und ergriffen waren. Deine Sendung kam am 24. Vormittags. Wir öffneten es aber erst Abends bei der Bescheerung.

Unser Weihnachtsfest ging ganz nach altem Herkommen und Brauch von statten. Armin kam | mit Papa am Mittwochden 23.12.1885. und machte sich sehr nützlich durch das Schmücken des Baumes und andere kleine Gefälligkeiten. Was uns der Weihnachten alleSchreibversehen, statt: alles. für Herrlichkeiten gebracht hat will ich den AndernVon den Briefen aus der Familie mit Bezug auf das Weihnachtsfest sind erhalten: Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 31.12.1885; Armin Wedekind an Frank Wedekind, 1.2.1886. überlassen Dir genau zu schreiben nur so viel sei Dir kund und zu wissen, daß ich, auf Donalds beharrliche Bemühungen von Papa einen herrlichen neuen Wintermantel bekam, welchen ich wirklich mit wahrem Entzücken begrüßt habe.

Unser Mati hat sich an den Gütsi’s„im Allg. Zuckerbackwerk, Confect, Naschwerk, Süssigkeit, süsser Kram, Bonbon (bes. für Kinder)“ [Schweizerisches Idiotikon 2, S. 554]. den Magen verdorben und liegt seit gestern zu Bett. Am letzten Sonntagam 27.12.1885. kamen die LisaLisa Jahn, für die Wedekind zeitweise schwärmte und die seine Gefühle im Herbst 1885 erwidert haben soll [vgl. Kutscher 1, S. 112], war die älteste Tochter der Lenzburger Apothekerwitwe Bertha Jahn – Wedekinds ‘erotischer Tante’ [vgl. die Korrespondenz]. An die 2 Jahre jüngere Freundin adressierte Wedekind die Gedichte „Lisa Jahn“ [KSA 1/I, S. 188; vgl. KSA 1/I, S. 966f.], „An Lisa“ [KSA 1/I, S. 202; vgl. KSA 1/II, S. 1810f.] und „An Francisca de Warens“ [KSA 1/I, S. 417; vgl. KSA 1/I, S. 1917f.]. und Hanni JahnHanna Jahn, die 25jährige Tochter von Bertha Jahn.s, wurden um 7 Uhr von VictorVictor Jahn, der Bruder von Lisa und Hanna Jahn. abgeholt, der aber noch bis 11½ Uhr geduldig wartete. Es wurde getanzt und SpielerSchreibversehen, statt: Spiele. gemacht aber eigentlich war es doch ziemlich langweilig. ––

Von Minna habe ich eine brillante Photographie mit Briefnicht überliefert. erhalten. | Ist die PhotogrphieSchreibversehen, statt: Photographie. gut, dann kann sich Minna gratulieren, den dannSchreibversehen, statt: denn dann. ist sie beinahe hübsch geworden.

Tante Plümacher schickte mir ein weiches, sehr orginell gearbeitetes Rückenkissen damit ich mein theures Haupt nicht mehr auf die harten Seitenlehnen unseres Sofäle’s im Wohnzimmer zu legen brauche. Mein lieber, guter Armin, welcher mir kurz vor seiner Ankunft noch einen rührenden VersöhnungsbriefDer Brief Armin Wedekinds an seine Mutter ist nicht überliefert; der Zusammenhang nicht ermittelt. geschrieben hatte überraschte mich mit einer prachtvollen Palme, die wie ich mir schon lange eine gewünscht hatte auf meinen Blumentisch. Somit siehst Du, mein lieber Franklin, daß ich wohl Ursache hatte von den Freuden des Weihnachtsfestes zu sprechen und dieses mal überwiegen sie wohl die Leiden die hauptsächlich in der Angst bestanden, daß die Kinder sich an den Kuchen den Magen verderben könnten, eine | Befürchtung, die nun unser Mati auch richtig bestätigt hat. ––

Ar Miezchen hat, neben vielem Anderem den Göthe bekommen. Gestern nun, indem er die Pflege bei Mati übernahm, las mir Armin mehrere Stunden daraus vor und zwar aus Wahrheit und Dichtung. Ich habe innerlich dem Altmeister Abbitte gethan, denn diese Bekenntnisse aus seiner Jugend haben mich wahrhaftig entzükt. Es kam so mancher recht menschlicher Zug darin vor, so kernig und liebenswürdig erzählt daß mir dieses/r/ Theil seiner Werke denselben Eindruck machte, wie das Gedicht von J unserm Herrn JesusJohann Wolfgang Goethes Ballade „Legende“ (1798). und seinen Jüngern mit seiner reizenden behaglichen Naivität. – Ich wollte, ich könnte Dir noch mehr schreiben über Gelesenes und Erlebtes. Allein da ist der Schreckensjunge Doda mit seiner Katze, dem Goldigen, der einem keinen ruhigen Augenblick läßt. | Ich würde Gefahr laufen, Dir allerlei ungereimtes Zeug zu schreiben daher will ich lieber schließen. Zum neuen Jahre kann ich Dir nichts anderes wünschen als was ich Dir tagtäglich wünsche. Alles Glück und Gottes Seegen. Bleibe brav und gesund und erfreue uns bald wieder mit Deinen Nachrichten. Tausend Grüße von Allen. Ich aber küsse Dich und bleibe Deine Dich zärtlich liebende Mutter

Emilie Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt + Einzelblatt. Seitenmaß 13,5 x 21,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 30.12.1885 ist als Ankerdatum gesetzt – ein wahrscheinliches Schreibdatum dem Briefkontext zufolge: Emilie Wedekind blickte auf Sonntag den 27.12.1885 zurück und der Jahreswechsel steht wahrscheinlich unmittelbar bevor.

  • Schreibort

    Lenzburg
    30. Dezember 1885 (Mittwoch)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefwechsel mit den Eltern 1868‒1915. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2021
Seitenangabe:
121-123
Briefnummer:
57
Status:
Ermittelt (sicher)

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 307
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 30.12.1885. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (01.07.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

17.06.2024 15:03