Mein lieber Franklin!
Mit Vergnügen habe ich
wiederholt vernommen, daß Du nunmehr Deine StudienWedekind, der im Frühjahr die Versetzung in die dritte Klasse des Gymnasiums nicht geschafft und ein halbes Jahr Privatunterricht auf Schloss Lenzburg erhalten hatte, war nach Ende der Herbstferien (Anfang November) an die Kantonsschule Aarau zurückgekehrt, wo er das zweite Schulhalbjahr der II. Gymnasialklasse wiederholte. in Aarau mit Freude und Intresse aufgenommen hast. Halte nun fest am Strange, laß’ Dir
keine Mühe zu viel sein; die Natur (oder Gott, oder das Unbewußte, oder wie
immer wir das „Große X“, welches hinter allem steht und sich dabei immer selbst
im Lichte steht, nennen wollen) hat Dir einen guten Kopf mit auf die
Lebensreise mitgegeben, und wenn Du nun das Deine mit Fleiß und Ausdauer dazu
thust, so zweifle ich nicht, daß Du Etwas wirst woran wir, die wir Dich lieb
haben unsere Freude haben können.
Du erinnerst Dich | vielleicht
noch unseres Gespräches über das Kriterion des Sittlichen; ich hatte im Laufe meiner SchriftOlga Plümachers philosophische Abhandlung „Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart. Geschichtliches und Kritisches“, die im Frühjahr 1884 in Heidelberg bei Georg Weiss erschien. an der ich jetzt
arbeite (nota bene(lat.) wohlgemerkt. wenn ich nicht Strümpfe flicken,
Kinder „gaumen(schweiz.) Kinder hüten [vgl. Schweizerisches Idiotikon Bd. II, 1887, Sp. 300]. – Olga Plümacher dürfte in Schaffhausen ein Mädchenpensionat unterhalten haben, so wie 1885 in Stein am Rhein [vgl. Züricherische Freitagszeitung, Jg. 1885, Nr. 43, 23.10.1885, S. 4].“ und
kochen muß)
Veranlaßung dieses Thema zu behandeln. Ich dachte oft dabei an Dich und freue
mich Dir einmal die Schrift (so ihr ein gütig’ Geschick die Gnade des
Gedrucktwerdens zu t/T/heil werden läßt!) vorlegen zu können. Ich
glaube, daß es mir gelingt Dich zu meiner Ansicht zu bekehren.
Im Auftrag Hermann‘s
sende Dir die IndiandergeigeHermann Plümacher kündigte die Sendung des Instruments in seinem Brief an [vgl. Hermann Plümacher an Wedekind, 31.1.1884].
und wünsche Dir Glück zu Deinen musikalischen Studien, Deinen Mitmenschen aber
gute Geduld. Auch bitte ich Dich im Intresse euerer niedlichen Katze nicht gar
| zu fleißig zu üben – es könnten sonst die Mäuse auswandern, was für Pußi doch
recht traurig wäre.
Neues, was Dich intressiren könnte, weiß ich nichts,
und ist der Zweck dieser Zeilen lediglich der, Dir meine Theilnahme an
DeimSchreibversehen, statt: Deinem. Wohlergehen
auszudrücken. Und so will ich
denSchreibversehen, statt: den Brief (oder: denn).
jetzt schließen, denn nun muß ich meinem „
BübliHermann Plümacher.“ einen Wickel um den Hals machen und ihn zur
nächtlichen Ruhe weisen. Grüße
Deine liebe MamaOlga Plümacher und Frank Wedekinds Mutter Emilie waren Jugendfreundinnen und kannten sich aus dem Züricher Vorort Riesbach. herzlich von mir und ebenso alle
Geschwister; Du selber
aber sei herzlich gegrüßt
von Deiner Dir wohlgewogenen Tante
Olga.