[1. Entwurfsnotizen:]
Mephistos
Todeskampf.
Aus
diesem Titel ergab sich mir die Widmung „Meiner Braut“Die Widmung – sie galt Berthe Marie Denk [vgl. KSA 6, S. 645] – in der Buchausgabe von „Totentanz“ (1905) lautet: „Meiner Braut in innigster Liebe gewidmet“ [KSA 6, S. 100]; sie steht so bereits im Vorabdruck [vgl. Frank Wedekind: Totentanz. Drei Szenen. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 183/184, 4.7.1905, S. 1]. als selbstverständlich.
Die Widmung wird niemanden verletzen befremden können, dem Göthes Faust in Erinnerung ist.
Aus dem Titel ergiebt sich die Widmung als
selbstverständlich für jeden dem Göthes FaustJohann Wolfgang Goethes Tragödie „Faust. Der Tragödie erster Teil“ (1808), eines der kanonisierten Werke des Bildungsbürgertums und im Kaiserreich sakrosankt, wird von Wedekind hier ausdrücklich für sein Stück als maßgeblich herausgestellt; zu den Quellen von „Totentanz“ zählt sie nicht [vgl. KSA 6, S. 639-641]. in Erinnerung ist.
Die dichterische Größe und menschliche Vertiefung des
Göthischen Mephisto war mein künstlerisches Vorbild während meiner Arbeit an
dem Einakter.
Ich verwarf den Titel „M.T.“
und wählte den anspruchsloseren Titel „T“.
weil ich ihn für anmaßend hielt in der Befürchtung meinem großen Vorbild nicht
im entferntesten nahe gekommen zu sein.
Mein künstlerischer Vorwurf bei meiner Arbeit war Folgendes:
Der Cyniker, der an seinem eigenen Cynismus zu Grunde
gehen muß |
Der fehlerfreie Rechenkünstler der an seiner
glaubenslosen Mathematik zu Grunde gehen muß.
Vor allem aber ‒
und diesen Vorgang habe ich am stärksten betont:
Der eingefleischte Pessimist, der an seinem
unheilbaren Pessimismus zu Grunde gehen muß.
In der Figur des Fräulein von Malchus suchte ich ein Menschliches
Wesen hinzustellen, das als lächerlich in die Handlung eintritt, das dann aber durch
Aufrichtigkeit und echte Leich/d/enschaft | mehr
und mehr die Sympathie des Zuhörers erobert, und sich um einen beträchtlichen
Unterschied größer und schöner aus dem Stück verabschiedet als wie
es in die Handlung eingetreten istzunächst mit Bleistift gestrichen, durch „war“ ersetzt und Änderung durch Unterpunktung wieder aufgehoben, dann mit Tinte erneut gestrichen sowie „war“ durch Unterpunktung als gültig markiert.. war.
Den internationalen Verein zur Bekämpfung des Mädchenhandels
in dieser Figur zu persiflieren, lag mir so gänzlich fern, daß ich in der
letzten Scene versäumte auf dieses Thema zurückzukommen. Um einem solchen
Mißverständnis aus dem Wege zu gehen möchte ich auf Seite x Zeile x nach den
Worten „…………[“] folgendes einfügen: |
Die Aufrichtigkeit dieser Äußerung wird der kein Zuhörer nach dem
Vorangegangenen nicht bezweifeln können. In der Figur der Lisiska suchte
ich die Nichtigkeit, die Eitelkeit des rohen Sinnengenusses zum
Ausdruck zu bringen. Ich suchte den Beweis dafür nicht vom moralischen
sondern vom rein sinnlichen
Gesichtspunkt aus zu zum Ausdruck zu bringen/kennzeichnen/. Ich glaube mich in dieser Darstellung mit
jedem verständigen Zuhörer in vollem Einverständnis zu befinden. |
In der Figur des Herrn König habe ich mich selbst als Autor
in die Handlung hineingestellt um darzubieten wie ich die Anregung zu dem
Einakter k empfing. Der künstlerische Idealismus in dieser Figur kann kaum
von irgend Jemanden als anstößig empfunden werden.
[2. Briefentwurf:]
[Sehr geehrter Herr Direktor!
Ich danke Ihnen sehr für das lebhafte Interesse, das Sie
meinem Einakter „Totentanz“ entgegenbringen. Ich ersuche Sie auch, Herrn OberRegierungsrat von
GlasenappCurt von Glasenapp, Regierungsrat und Leiter der Theater- und Zensurabteilung im Königlichen Polizeipräsidium Berlin [vgl. Berliner Adreßbuch 1907, Teil I, S. 654], war für die Entscheidung verantwortlich, dass Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ nicht öffentlich aufgeführt werden konnte [vgl. KSA 3/II, S. 1260]., wenn Sie ihn sehen, meinem ergebensten Dank für die Würdigung
Ausdruck zu geben, die Herr OberRegierungsrat
so freundlich ist, für meine Arbeit an den Tag zu legen. Erlauben Sie mir nun,
Herr Direktor, Sie noch auf folgende Thatsachen aufmerksam zu machen:]
Als künstlerisches Vorbild sah ich bei meiner Arbeit an dem
Einakter den Götheschen Mephisto vor mir, ganz besonders die menschliche | Vertiefung und Verwirklichung, die der abstrakte Moralbegriff eines Mephisto
durch Göthe gefunden hat. Als Titel des Stückes schwebte mir anfänglich vor:
„Mephistos Tod“ oder „Mephistos Todeskampf“. Ich verwarf diesen Titel aber
erstens weil er mir zu anmaßend erschien, sodann weil ich die Anlehnung als
unkünstlerisch empfand, und drittens weil ich wol mit Recht fürchtete, meinem
großen Vorbild nicht im entferntesten nahe gekommen zu sein.
Für die richtige Auffassung des Stückes von Seiten eines
größeren Publikums möchte aber der Titel „Mephistos Tod“ von großem | Vortheil sein. Ich möchte Ihnen dem Stück daher für den Fall, daß eine Aufführung gestattet würde, vorschlagen,
dem Stück diesen Namen Titel
zu geben.
[Aus dem Titel „Mephistos Tod“ ergab sich mir die Widmung
„Meiner Braut“ als ziemlich nahe liegend. Die Widmung wird m.Er., wenn der Göthesche
Mephisto in Erinnerung gebracht wird, auch kaum mehr befremden können.]
Das menschliche Thema, das ich in der Arbeit zu behandeln
gedachte, war folgendes.
Der Cyniker, der notwendig an seinem eigenen Cynismus
zu Grunde gehen muß.
Der rohe Gewaltmensch, der | seiner eigenen Gewaltthätigkeit zum Opfer fällt.
Der fehlerfreie Rechenkünstler der an seiner
glaubenslosen Mathematik zu Grunde gehen muß.
Vor allem aber ‒
und diesen Vorgang habe ich am stärksten betont ‒ der eingefleischte Pessimist, der an seinem
unheilbaren Pessimismus zu Grunde gehen muß.
In der Figur des Fräulein von Malchus suchte ich ein
menschliches Wesen hinzustellen, das als lächerlich in die Handlung eintritt,
das dann aber durch Aufrichtigkeit und echte Leidenschaft mehr und mehr die
Sympathie Theilnahmemit Tinte ergänzt. des Zuhörers erobert
und | sich nach der
Absicht des Verfassersmit Tinte ergänzt
um einen beträchtlichen Unterschied größer und schöner aus dem
Stück verabschiedet, als es in die Handlung eingetreten war.
[Den Verein zur Bekämpfung des Mädchenhandels in dieser
Figur zu persiflieren lag mir so gänzlich fern, daß ich in der letzten Scene
versäumte, auf dieses Thema zurückzukommen. Um einem solchen Mißverständnis aus
dem Wege zu gehen, möchte ich auf Seite 56 Zeile 9 von unten, nach den Worten
„unser martervolles Leben durchdringt“ einige Zeilen einfügen„Die von Wedekind erwähnte geplante Textänderung wurde gedruckt nicht realisiert.“ [KSA 6, S. 642], in denen Casti
Piani seine frühere Ansicht über den Verein zur Bekämpfung des | Mädchenhandels ebenso widerruft, wie er das zur gleichen Zeit mit seinerenSchreibversehen, statt: seiner.
früheren Ansicht über die Sinnlichkeit thut. An der Aufrichtigkeit dieses
Widerrufes, in diesem Zusammenhang ausgesprochen, wird meines Erachtens niemand
zweifeln können.]
In der Figur der Lisiska suchte ich die Nichtigkeit, oder
vielmehr Unmöglichkeit eines rohen Sinnengenusses, insofern es sich um die
unglücklichen Opfer handelt, darzuthun.
In der Figur des Herr König habe ich mich selbst als Autor
in die Handlung gestellt und geschildert, | wie ich die Anregung zu dem Einakter empfangen. Der abstrakte Idealismus dieses
Charakters kann kann meines Erachtens kaum als anstößig empfunden
werden.
Die Erfahrungen, die ich mit dem Stück bis jetzt gemacht habe,
sind folgende: Bei der öffentlichen Uraufführung in Nürnberg brachte das Publicum
der Vorstellung vollständig, und ohne daß die geringste Störung stattgefunden
hätte, die ernste Würdigung entgegen, die ich in den Scenen angestrebt
habe. Die Behörde fand meines Wissens keinerlei Veranlassung, sich mit dem
Stück oder mit der | Beschränkung der Öffentlichkeit der Vorstellungen zu beschäftigen.
[Wir haben den Einakter an drei Abenden gespieltNach der Uraufführung von „Totentanz“ am 2.5.1906 am Intimen Theater in Nürnberg unter der Regie von Emil Meßthaler, die „anstandslos über die Bühne gehen“ [KSA 6, S. 668] konnte, fanden am 3. und 4.5.1906 zwei weitere Vorstellungen statt (Frank Wedekind spielte den Casti Piani, Tilly Wedekind die Lisiska). und hätten,
wie Sie wissen, noch zehn weitere Abende spielen können, wenn Sie den dazu
nötigen Urlaub hätten erteilen können. In der literarischen Gesellschaft in
Dresden las ichWedekind notierte am 12.11.1906 seine Lesung bei der Literarischen Gesellschaft in Dresden im Saal des Ausstellungspalastes [vgl. Adreßbuch für Dresden 1906, Teil II, S. 165], bei der er Szenen aus „So ist das Leben“, die Erzählung „Rabbi Esra“ und aus „Totentanz“ den „Dialog ‚Franz und Lisiska‘ (d.h. der Dialog zwischen ‚König‘ und ‚Lisiska‘ [...]) und Gedichte“ [vgl. KSA 6, S. 675] vortrug: „Vortrag in Dresden. Literarische Gesellschaft.“ [Tb] Sie wurde durchaus anerkennend besprochen [vgl. KSA 6, S. 659]. Die Kritik meinte, Wedekind sei inzwischen „ein Anerkannter“ und „ein fein und klug gestaltender Vorleser“ [Dresdner Neueste Nachrichten, Jg. 14, Nr. 309, 14.11.1906, S. 2]. im verfloßenen Winter die Verse des Stückes öffentlich vor,
ohne daß meines Wissens irgend jemand Ärgernis daran genommen hätte. Die
nämliche Erfahrung machte ich vor einigen Wochen mit einer öffentlichen
Vorlesung des ganzen Einakters im Lustspieltheater in BudapestWedekind notierte am 14.5.1907 zum „Wedekind-Nachmittag“ [Pester Lloyd, Jg. 54, Nr. 115, 15.5.1907, S. 4] im Lustspieltheater in Budapest: „Ich lese Totentanz“ [Tb]. Die Veranstaltung (außer „Totentanz“ standen „Der Kammersänger“ und Kabarettlieder auf dem Programm) wurde ebenfalls anerkennend besprochen [vgl. KSA 6, S. 674].. |
Zum Schluß dieser Zeilen, deren Inhalt an maßgebender Stelle zu geschätzter
gefälliger Erwägung zu unterbreiten Sie vielleicht für gut finden, erlaube ich
mir, noch einen anderen Titel in Vorschlag zu bringen, und zwar: „Der Tod des Teufels“
In vorzüglicher Hochschätzung
Ihr
Frank Wedekind
Berlin, den 4 Juni 1907.
Des
Teufels Tod.]