FRANK WEDEKIND.
Lieber Herr Bierbaum!
Soeben erhalte ich die Nachricht von Ihrer Verlobungnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Otto Julius Bierbaum an Wedekind, 13.8.1901. Otto Julius Bierbaum hatte einige Tage zuvor das Einverständnis der Familie von Gemma Pruneti-Lotti mit der Verlobung erhalten und seiner Verlobten am 10.8.1901 aus Rigi geschrieben: „Eben erhalte ich die gute Botschaft, daß Deine Brüder einverstanden sind. [...] Nun wollen wir also alles so schnell als möglich betreiben, denn ich sehne mich mit ganzer Inbrunst danach, mit Dir vereinigt zu werden.“ [Otto Julius Bierbaum: Briefe an Gemma. München 1921, S. 19] Er dürfte Wedekind bald darauf darüber informiert haben. Wedekind könnte von der Verlobung aber auch durch seinen Besuch bei Alfred Walter Heymel (siehe unten) erfahren haben oder aus der Presse: „Otto Julius Bierbaum, dessen Familienglück vor einiger Zeit eine kleine Trübung erlitten hat, heirathet wieder. Er hat sich neuerdings mit einer jungen Florentinerin in Zürich [...] verlobt.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 379, 15.8.1901, Morgen-Ausgabe, S. 5] Später erst wurde der Name der Verlobten genannt: „Otto Julius Bierbaum zeigt jetzt seine Verlobung mit Frl. Gemma Pruneti-Lotti in Florenz an. Der Dichter befindet sich gegenwärtig auf Rigi-First.“ [Hamburger Fremden-Blatt, Jg. 73, Nr. 197, 23.8.1901, 1. Beilage, S. (2)] „Otto Julius Bierbaum hat sich vor Kurzem mit einer Florentinerin, Fräulein Gemma Pruneti-Lotti verlobt.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 30, Nr. 432, 26.8.1901, Abend-Ausgabe, S. (3)] Das Paar heiratete am 25.11.1901 in München.. Ich
sende Ihnen meine aufrichtigsten und herzlichen Glückwünsche. Ich freue mich
sehr auf den Moment wo es mir vergönnt sein wird, die Dame Ihrer Wahl kennen |
zu lernen, und bitte Sie, der Dame jetzt schon den Ausdruck meiner
Hochschätzung und Verehrung zu Füßen zu legen. Durch die Wahl, die die Dame
getroffen ist sie deren in vollstem Maße theilhaftig; wollen Sie bitte auch
Ihrer Braut meine aufrichtige Gratulation übermitteln.
So unpassend es
sein mag, an dieser Stelle Geschäftliches zu berühren, E/e/rlauben
Sie mir doch die Mittheilung daß | ich heute Nachmittag eingehend mit Herrn
Heymel gesprochenWedekind sprach mit Alfred Walter Heymel über einen möglichen Band mit Wedekinds Liedern im Insel-Verlag [vgl. Wedekind an Otto Julius Bierbaum, 7.8.1901], der nicht zustande kam. habe. Leider kann er sich zur Herausgabe der Lieder nicht entschließen aus
Gründen die ich vollkommen anerkennen muß. Im übrigen hat er mir auf das
liebenswürdigste aus der Verlegenheit geholfen. Ich muß Sie nun nur um das eine
bitten, mir die „Ilse“das im Manuskript versandte Lied „Ilse“ [vgl. Wedekind an Otto Julius Bierbaum, 7.8.1901]. möglichst bald zurückzuschicken, da ich nächster Tage
nach Berlin geheWedekind dürfte zur Premiere seines Einakters „Der Kammersänger“ am 31.8.1901 am Berliner Residenztheater (Direktion: Sigmund Lautenburg) nach Berlin gereist sein und war nachweislich kurz darauf in der Stadt, auch um sein Gastspiel im Rahmen eines geplanten literarischen Kabaretts im Central-Theater (Direktion: José Ferenczy) vorzubereiten [vgl. Wedekind an Max Halbe, 3.9.1901]; das hatte Martin Zickel initiiert, dem er bereits acht Vortragsnummern geschickt hat [vgl. Wedekind an Martin Zickel, 6.8.1901], „der sie der Berliner Zensurbehörde zur Genehmigung vorlegen sollte.“ [KSA 1/III, S. 463] Das Gastspiel, bei dem er seine Lieder zum Vortrag bringen sollte, darunter „Ilse“ (siehe oben), ein Lied, das er Martin Zickel in einer Fassung bereits geschickt hat [vgl. KSA 1/IV, S. 915], kam nicht zustande. und die Manuscripte | dort dringend nötig haben werde.
Verzeihen Sie daß ich mit dieser Bitte Ihre idyllische Sommer-Einsamkeit störe,
und seien Sie überzeugt, daß Ihr GlückOtto Julius Bierbaum war zuvor unglücklich gewesen, da seine erste Ehefrau Augusta Bierbaum (geb. Rathgeber) sich von ihm getrennt hatte und nach der Scheidung am 19.12.1899 inzwischen in Berlin mit dem Komponisten Oskar Fried (ein alter Bekannter Wedekinds) verheiratet war. mich mit großer Freude und Genugthuung
erfüllt.
Mit den
herzlichsten Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.
Franz
Josefstraße 42.II.
Also nicht wahr,
Sie vergessen die Manuscripte nicht.