BH
Hamburg,
d. 16.3.99.
Mein lieber, lieber Freund ‒ ich erwog schon,
ob ich Ihnen eine Mahnkarte schreiben sollte, als Ihr Briefvgl. Wedekind an Beate Heine, 12.3.1899. eintraf und große
Freude im Hause Heine erregte. Haben Sie Dank; auch für den KammersängerWedekind hatte die gerade erschienene Buchausgabe seines Einakters „Der Kammersänger“ (1899), die eine gedruckte Widmung für Carl Heine enthält, nach Hamburg geschickt [vgl. Wedekind an Beate Heine, 12.3.1899]., den
ich eben hintereinander durchgelesen habe, und der mich sehr interessirt
u. entzückt hat. Entzückt hauptsächlich dadurch, daß ich Sie darin immerfort
wiederfand, meinem Mann gings ebenso ‒ er wollte Ihnen selber drüber schreibenvgl. Carl Heine an Wedekind, 16.3.1899.. Damit will ich sagen, daß ich
den Dialog colossal interessant oder vielmehr bedeutend finde u. ich denke, das
muß Jeder finden, auch der Sie nicht kennt. Die beste | Figur, auch die
Sympathischste, ist wohl der alte ComponistProfessor Dühring, der siebzigjährige erfolglose Komponist in Wedekinds Einakter „Der Kammersänger“ [vgl. KSA 4, S. 22-33].. Wollen Sie, daß er, wie Ulrik
BrendelUlrik Brendel, der Hauslehrer in Henrik Ibsens Drama „Rosmersholm“ (1886), findet gegen Ende des vierten und letzten Aktes seine Taschen leer., seine Taschen leer findet? Mein Mann meinte ja, ich war nicht
so sicher. Ihr Brief kam an einem Tage, an dem ich
furchtbar niedergedrückt war, u. war mir deshalb eine doppelte Freude − u. als ich die ersten paar Seiten Kammersänger
las da hat mich das faktisch über meine Traurigkeit weggebracht − sehn Sie, soviel vermögen gute Freunde, große
Menschen auch in der Ferne! Die Niedergedrücktheit ist übrigens allgemein
jetzt, man weiß nicht recht, ist’s Influenza oder Frühling!? Das Wetter ist
fast sommerlich, beängstigend. Mein Mann u. ich, wir sehnen uns manchmal recht
ehrlich | nach Ihnen, nach Ihrer großen Art, das Leben zu betrachten − so in aller Alltagsmisère. Ob wir im Juni
zu Ihnen kommen? Mir ist’s noch ziemlich unglaublich, aber wünschen thu ich’s sehr, sehr. Aber, ich
will erst Alles erzählen, was wir inzwischen erlebt haben, und das ist ziemlich
erfreulich. Wirklich hat Carl es fertig gebracht, dem Jahre 99 einen reellen,
glänzenden Erfolg abzuringen. Ich schrieb Ihnen damalsvgl. Beate Heine an Wedekind, 18.1.1899. von der schönen
Hedda-Gabler-Aufführung. Die setzte Carl für einen Sonntag Nachmittagam 22.1.1899 (Sonntag), die erste der Nachmittagsvorstellungen von Henrik Ibsens „Hedda Gabler“ (1890) nach der erfolgreichen Premiere dieses Schauspiels am Carl Schultze-Theater am 11.1.1899 (Mittwoch) und weiteren Abendvorstellungen. an, in
der Idee, es würde keine Katze reingehn − aber siehe da, es war die beste Sonntag-Nachmittagskasse, die wir bisher
erzielt hatten. Das gab zu denken, u. wir kündigten, schnell | gefaßt, einen Cyklus
moderner DramenDie Presse hatte die Reihe am Carl Schultze-Theater angekündigt: „Der ungewöhnliche Erfolg, den die ‚Hedda Gabler‘-Vorstellung am Sonntag, Nachmittag erzielt hat, hat die Direction bewogen, an den nächsten Sonntag-Nachmittagen einen Cyclus moderner Dramen zu veranstalten. Zur Ausführung gelangen von Ibsen die ‚Gespenster‘ und ‚Die Frau vom Meere‘, von Hartleben ‚Die Befreiten‘ und ‚Die Erziehung zur Ehe‘, von Carlot Reuling ‚Das Stärkere‘, von Nansen ‚Der Hochzeitsabend‘. Die Vorstellungen beginnen um 3¼ Uhr und finden zu den üblichen Sonntag-Nachmittagspreisen statt. Als erste Vorstellung in diesem Cyclus geht Sonntag, den 28. Janr. Hartlebens interessantes Stück ‚Die Befreiung‘ in Scene.“ [Altonaer Nachrichten, Nr. 21, 25.1.1899, Morgen-Ausgabe, S. (2)] für die nächsten Sonntage an. Die sch Sache schlug nun
glänzend ein. Volle Häuser, vorzügliche
Kritiken, gutes, bestes Publikum, u. viel Begeisterung; bei der ersten
Vorstellung: Die Befreiten v. HartlebenOtto Erich Hartlebens Einakter-Zyklus „Die Befreiten“ (1899) hatte am 29.1.1899 (Sonntag) am Carl Schultze-Theater als Nachmittagsvorstellung in Carl Heines Reihe moderner Dramen Premiere.,
rief man Carl so stürmisch, daß wir uns wahrhaftig nach Leipzig zurückversetzt
glaubten. Seitdem haben wir noch gespielt: GespensterHenrik Ibsens Familiendrama „Gespenster“ (1881) wurde am 5.2.1899 (Sonntag) am Carl Schultze-Theater als Nachmittagsvorstellung in Carl Heines Reihe moderner Dramen gespielt., Der Stärkere v. ReulingCarlot Gottfried Reulings Drama „Der Stärkere“ (1897) wurde am 12.2.1899 (Sonntag) am Carl Schultze-Theater als Nachmittagsvorstellung in Carl Heines Reihe moderner Dramen gespielt.,
Die Erziehung zur Ehe (Hartleben)Otto Erich Hartlebens Komödie „Die Erziehung zur Ehe“ (1893) wurde am 19.2.1899 (Sonntag) am Carl Schultze-Theater als Nachmittagsvorstellung in Carl Heines Reihe moderner Dramen gespielt. Die Frau vom MeereHenrik Ibsens Drama „Die Frau vom Meer“ (1888) wurde am 26.2.1899 (Sonntag) am Carl Schultze-Theater als Nachmittagsvorstellung gegeben, zunächst die letzte Aufführung in Carl Heines Reihe moderner Dramen, die dann aber fortgesetzt wurde., John Gabriel BorkmannHenrik Ibsens Stück „John Gabriel Borkman“ (1898) wurde am 5.3.1899 (Sonntag) am Carl Schultze-Theater als Nachmittagsvorstellung gespielt, zugleich die erste Aufführung in der Fortsetzung von Carl Heines Reihe moderner Dramen.,
und Hanna Jagert v. HartlebenOtto Erich Hartlebens Stück „Hanna Jagert“ (1893) wurde am 12.3.1899 (Sonntag) am Carl Schultze-Theater als Nachmittagsvorstellung in Carl Heines Reihe moderner Dramen gespielt. − nächsten
Sonntagam 19.3.1899 (Sonntag) – gespielt wurde nochmals Henrik Ibsens „Gespenster“ (siehe oben); erst am 26.3.1899 (Sonntag) wurden der Einakter „Ein Hochzeitsabend“ (1896) des dänischen Autors Peter Nansen, Maurice Maeterlincks symbolistischer Einakter „L’Intruse“ (1890) in der Übersetzung „Der Ungebetene“ von Otto Erich Hartleben und dessen Zweiakter „Angele“ (1891) am Carl Schultze-Theater nacheinander an einem Nachmittag in Carl Heines Reihe moderner Dramen gespielt, womit die Reihe dieser Nachmittagsaufführungen abgeschlossen wurde. kommt, Nansen’s Hochzeitsabend, Maeterlincks L’Intruse,
u. Hartlebens Angele. Wir haben mit Allem gute Erfolge gehabt, nur nicht mit
Reuling, der nur einen sehr freundlichen Erfolg hatte. Es ist auch | ein sehr
schwaches Stück, aber Sie wissen, Carl hatte so eine Art von Ehrenschuld damals
von Leipzig her zu erfü einzulösen, als das Reulingsche Manuskript
gestohlenZusammenhang nicht ermittelt (ein Vorfall um ein Manuskript von Carlot Gottfried Reuling seinerzeit in Leipzig). wurde. Was sagen Sie aber, daß Riechers-WaldemarHelene Riechers und Arthur Waldemar galten in ihrem Zusammenspiel als ideales Schauspielerpaar [vgl. Georg Scheufler: Helene Riechers und Arthur Waldemar. In: Die Redenden Künste, Jg. 2, Heft 32, 6.5.1896, S. 979-982] und waren im Ensemble des Theaters der Literarischen Gesellschaft (Ibsen-Theater) in Leipzig (inzwischen offenbar verheiratet) bei Carl Heine engagiert gewesen [vgl. Neuer Theater-Almanach 1899, S. 408]. Das Hamburger Gastspiel des Schauspielerpaars hat die Presse unter Hinweis auf die erfolgreiche und daher fortgesetzte Reihe moderner Dramen im Carl Schultze-Theater angekündigt: „Der große Beifall, den der erste Cyclus moderner Dramen gefunden hat, veranlaßt die Direction an den künftigen Sonntag-Nachmittagen einen zweiten Cyclus folgen zu lassen. Den Beginn macht Ibsen’s 4aktiges Schauspiel ‚John Gabriel Borkman‘. Helene Riechers, die sich als Ellida in der ‚Frau vom Meere‘ so vortheilhaft eingeführt hat, wird als Ella Rentheim sich in einer Charakterrolle präsentiren, während die Titelrolle von Arthur Waldemar gespielt wird, der gemeinsam mit Helene Riechers lange Zeit hindurch dem Theater des Dr. C. Heine angehörte.“ [Altonaer Nachrichten, Nr. 54, 4.3.1899, Morgen-Ausgabe, S. (2-3)] im Borkman
gastirtenHelene Riechers (als Ella Rentheim) und Arthur Waldemar (in der Titelrolle) waren am 5.3.1899 in Henrik Ibsens Drama „John Gabriel Borkman“ (siehe oben) am Carl Schultze-Theater zu sehen gewesen., u. die Riechers vorherHelene Riechers war bereits am 26.2.1899 in Henrik Ibsens Drama „Die Frau vom Meer“ (siehe oben) am Carl Schultze-Theater zu sehen gewesen. in der Frau vom Meere??? Das kam nämlich so.
Frau Förster, unsere EllidaDie dann von Helene Riechers übernommene Rolle der Ellida in Henrik Ibsens Drama „Die Frau vom Meer“ (siehe oben) sollte zunächst Emmy Förster spielen., erkrankte, u. wir mußten spielen, denn das
Haus war fast ausverkauft, u. eine Absage hätte uns sehr geschadet. Eine
Jungfrau von OrléansFriedrich Schillers Tragödie „Die Jungfrau von Orleans“ (1801) war ein Bühnenklassiker und die Titelrolle insofern im Repertoire vieler Schauspielerinnen. Das war bei modernen Dramen nicht der Fall. ist ja nun leicht zu beschaffen − wer aber hat die Ellida auf dem Repertoir? Nun, Carl ließ seinen SekretärSekretär am Carl Schultze-Theater in Hamburg und somit Sekretär des Oberregisseurs und artistischen Leiters Carl Heine war Adolf Schramm [vgl. Neuer Theater-Almanach 1899, S. 367], der zuvor als Schauspieler und Bürochef am Berliner Residenztheater tätig war, danach als Geschäftsführer des Kaiser-Wilhelm-Theaters in Culm an der Weichsel. an die R.an die Schauspielerin Helene Riechers in Leipzig. telegraphiren u. sie
antwortete (ächt) warum denn nicht?? Im Uebrigen war sie ganz die Alte.
Persönlich standen | wir ganz kühl, aber, da die Förster krank blieb, engagirte
Carl das Ehepaar Waldemar für den nächsten Sonntag zum Borkman. Also ich sage
Ihnen: Carl war selig! Diese
beiden Leute verstehen ihn nun mal beim Spielen auf den Wink, und er planschte
glücklich in seinem gewohnten Elemente. Beide spielten sehr gut, Waldemars
Borkman kennen SieWedekind hatte 1898 als Ensemblemitglied während der mehrmonatigen Tournee des Ibsen-Theaters den Schauspieler Arthur Waldemar in der Titelrolle von Henrik Ibsens Drama „John Gabriel Borkman“ erlebt. ja u. die Riechers machte der WilbrandtDie berühmte Burgtheaterschauspielerin Auguste Baudius-Wilbrandt hatte im Vorjahr ein Gastspiel an Carl Heines Theater der Literarischen Gesellschaft in Leipzig (Ibsen-Theater), dessen Ensemblemitglied Helene Riechers seinerzeit war [vgl. Neuer Bühnen-Almanach 1899, S. 408]. mit vielem Glück
nach. − Ja, ob wir
hierbleiben!? Sie haben wohl rechtWedekind in seinem letzten Brief [vgl. Wedekind an Beate Heine, 12.3.1899]. zu sagen, Carl soll sich die Früchte seiner
Anstrengungen nicht von anderen nehmen lassen. Aber
es handelt sich darum, ob das Theater hier so schnell zu Stande kommt, daß
schon nächsten Winter gespielt werden kann. Nur ob er réüssirt ist dann die
zweite | Frage. Nach der letzten Zeit möchte ich’s fast glauben, denn unsere
Sonntags-Vorstellungen sind wirklich Stadtgespräch. Mit Berlin kann ich mir
nicht viel versprechen in Bezug auf das Kunst-Variété − erstens ist’s im besten Falle nur für 1
Jahr − u. dann ist’s mir total
unsicher, ob es gelingt, gefällt − ich
fürchte, kaum! Und sonst könnte Carl nur an Brahms StelleOtto Brahm war Direktor des Deutschen Theaters in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1899, S. 251]. − u. die wird wohl vorläufig nicht frei. Wäre das
gottverfluchte Klima nicht, wir blieben leidlich gerne hier. Verkehr haben wir
kaum − nur mit 2 sehr netten
älteren Fräuleins, von denen die eine Ibsen-Kurse hält − wir können sehr nett mit ihnen reden u.
sie sind wieder glücklich, daß wir so ganz unhamburgisch sind, kurz, wir | freuen
uns an einander. Aber, c’est
tout. Wissen Sie, es
giebt hier eine Art steifer, wohlanständiger, satter, ganz aussichtsloser
Leute, mit denen zu sprechen uns kaum möglich ist − man weiß nicht was u. nicht wie. Sie lachen über
Dinge u. Witze, über die ich nicht den Mund verziehen kann, u. man sieht ihnen
an, daß sie alle am Schlagfluß sterben. Das ist so das Gros der Hamburger
Kaufleute, u. das sind dieselben Leute, die Abends in’s Theater gehn, nur
um zu lachen − alles
andere stört ihnen die Ve/B/ehaglichkeit. − Wir leben sehr still. Hin u. wieder gehe
ich mal mit meiner kleinen Nichtenicht identifiziert. in ein Concert − und unterrichteBeate Heine (geb. Wüerst) war vor ihrer Heirat mit Carl Heine nicht nur als Konzertsängerin tätig, sondern auch als ausgewiesene und geschätzte Gesangslehrerin. selbige Nichte 2 Mal wöchentlich im Gesange, das macht
mir viele Freude. |
d. 17ten17.3.1898 (Freitag).. So weit kam ich gestern, heut soll aber der Brief zur Post. Ich habe
heut viel von Ihnen gesprochen mit Jemand, dem ich Ihr Buch borgte u. von dem
ich wünschte, daß er Sie aus Ihrem Werk etwas kennen lernte. − Ich bin
heut ganz blödsinnig u. zerstreut, ich glaube, der Frühling sitzt mir im Kopf − ich habe so das Gefühl, man soll draußen sein,
sich die Sonne auf den Rücken scheinen lassen, das junge Grün besehen,
glücklich sein u. nichts thun, als Athem holen. Aber, dann wird dieser Brief
nicht fertig − also. Ich
wollte Ihnen noch über Martens schreiben − ja Sie haben recht, trostlos sind seine Verlobungsbriefe − es ist mitleiderregend u. jämmerlich, so zu
heirathen. Dabei hat er seine BrautMarie Fischer, die Verlobte von Kurt Martens, war die Tochter eines Oberlandesgerichtsrates. wie ich glaube, lieber, als man nach seinen
Worten denken | sollte. Daß Weber sein Verhältniß nun doch auch heirathetHans von Weber verheiratete sich am 29.3.1899 in München mit Anna Jäger (die Heirat fand am selben Tag statt wie die seines Cousins Kurt Martens).,
hatte ich erwartet; nach der letzten Versöhnung war er ihr verfallen. Ob nun
Frau Martens mit der Person verkehren muß?? Weber meldete uns
seine bevorstehende Heirath im Tone des Scherzes, sehr génirt, er weiß ja, wie
wir darüber denken. Noch etwas meldete Weber, das Sie auch interessiren wird.
Harlan hat einen Roman „Die Dichterbörse“ fertigDer Schlüsselroman „Die Dichterbörse“ (1899) von Walter Harlan (der Schriftsteller und Dramaturg wird noch 1899 zum Vater des späteren Regisseurs Veit Harlan) behandelt Verhältnisse des Leipziger Kulturlebens. Der Autor war 1895 Gründungsmitglied der Literarischen Gesellschaft in Leipzig (neben Carl Heine, Kurt Martens, Hans von Weber, Franz Adam Beyerlein)., in dem er nicht nur seine
Leipziger Freunde, sondern auch
Carl u. mich in perfidester Weise genau beschrieben haben soll. Weber schrieb
ganz aufgeregt, Merian hat einen
Aushängebogen davon gesehen, u. ganz empört sich drüber ausgesprochen: „einem
Manne könne er ja meinetwegen so etwas thun, aber doch nicht einer wehrlosen
Frau, von der er nichts als Liebes u. Freundliches genossen habe.[“] | Mich
regte die Sache zuerst auch etwas auf. Aber von einem derartigen Lumpen
erwartet man doch eigentlich nichts anderes. Er hat uns schon mündlich so
verleumdet, nun lügt er noch was dazu u. läßt es drucken. Ich denke, es
kann uns nichts weiter schaden u. es ist das Beste so
wenig als möglich davon zu reden! nicht? Da wir mal gerade bei dem Thema sind,
möchte ich Ihnen noch sagen, wie anders ich jetzt, im Laufe der Jahre, die
Sache von damals ansehe. Ich weiß jetzt, daß ich H. nie − hören Sie, nie geliebt habe − hypnotisirt hat er mich, bess besessen
von ihm war ich nicht u. hab viel Kummer u. Qual davon gehabt − aber − Liebe − nein. Liebe
ist einfach Hingabe − ohne Fragen − man ist für
einander geschaffen u. lebt fortan nur für einander − alles Uebrige ist dann gleich!
Pardon − ich wollte Ihnen keine Rede
halten. Lachen Sie mich bitte nicht aus. | Erinnern Sie sich meines dicken
Tagebuchs, das ich irgend einem Sudermann „zur Verarbeitung[“] geben sollte
nach Ihrer Ansicht? Das hab ich vor 2 Monaten verbrannt − es kam mir so unwahr vor, so als
wenn ich von einer fixen Idee beim Schreiben besessen gewesen wäre. Ich bin froh, daß
es fort ist − sowieso ist
mir die ganze Begebenheit so gänzlich aus dem Gedächtniß geschwunden,
daß ich Mühe habe, daran mich zu erinnern. Vielleicht finden Sie es
überflüssig, daß ich Ihnen das schreibe, mir ist es aber natürlich. Liebster
Freund, wie begierig bin ich auf Ihr Drama! Begierig ist noch gar
kein Wort − denn in meinen Augen ist das, was Sie jetzt, nach all Ihren Bühnen-Erfahrungen,
schreiben, entscheidend für Ihr Geschick, für Ihre ganze fernere Produktion.
Daß Sie einen Tag denken, es sei schlecht, u. den andern, es sei gut, | finde
ich natürlich − ich habe
dasselbe schon oft von produzirenden Menschen gehört. Es wird gut
sein, glauben Sie es mir. Jedenfalls wünsche ich zur Vollendung 1000
Glück! Ich bin sehr erstaunt, daß Langen nun auch in Paris ist − ständig? Das würde ich Ihnen nicht wünschen. Wir
haben uns göttlich amüsirt über Ihre Art mit einander zu verkehren − aber schön ist anders. Grétor besitzt nach wie
vor unser, mein größtes Interesse − sagen Sie, was thut er jetzt? Carl würde sagen: wen begaunert er
jetzt? Oder lebt er von seinen Monte-Christo-Rentenin Anspielung auf den Abenteuerroman „Le Comte der Monte-Christo“ (1846; „Der Graf von Monte Christo“) von Alexandre Dumas (dem Älteren) ironische Frage Carl Heines nach Wedekinds finanziellen Verhältnissen.? − So, jetzt will ich aber schließen. Ich grüße Sie in treuester Freundschaft, u. freue mich
schon jetzt auf Ihr Drama u. Ihren nächsten Brief.
Stets Ihre
Beate Heine. |
p:s:
Sagen Sie, spielt „das WeibFrauen.“ garkeine Rolle in Ihrem Leben jetzt? Carl sagte,
nach Ihrem Brief: ja, wenn er alle 8 Tage mit Freunden kneipt, was thut er dann
in der Zwischenzeit − mit wem ist
er da zusammen?? Dies ist keine auf die Brust gesetzte Pistole − nur eine natürliche Wahrnehmung u. Frage. Haben
Sie, trotz der Arbeit, nicht Menschen, mit denen Sie täglich, oder öfter
zusammen sind? Oder nicht zum Erzählen? Dann habe ich nicht gefragt!
1000 Grüße!