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Kennung: 2189

Genf, 8. Juli 1881 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Vögtlin, Adolf

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Genf den 8. Juli 81.


Mein lieber Franklin!

Wenn Du mich versicherst, Du seiest von meinem Briefevgl. Adolf Vögtlin an Wedekind, 2.7.1881. überrascht gewesen, so glaube mir, daß ich es nicht minder war beim Lesen deiner Antwortvgl. Wedekind an Adolf Vögtlin, 5.7.1881.. Ich traute dir und traue dir noch zu, die zwei Farbentöne, die meinem Briefe als Folie dienten, unterscheiden zu können. Der erste Theil ist Ironie; von da an, wo dir der Brief ernst erschien, ist er wirklich ernst gemeint und ich glaube hierin nichts gesagt zu haben, daß d/D/ich irgendwie verletzen könnte: Ich versicherte Dich meiner Freundschaft und gab dir einen guten Rath, so viel ich noch weiß. Daß Du nie um meine | Freundschaft gebuhlt, weiß ich wohl: Nie würde ich sie einem Buhler angetragen haben. Ich sah aber, daß du neben deinem Talent ein gutes Herz besitzest. Das freute mich und gab mir den Anlaß, mich Dir zu nähern. Ich glaubte auch, dir nützlich sein zu können und im Vereine mit einer congenialen Natur das Glück mir versprechen zu dürfen, ein schönes Streben einst möglichst zu verkörpern.

Nun bitte ich Dich, meine Zeilen noch einmal durchzulesen und wenn Du weißt, was Ironierhetorische Figur, „ursprünglich nur eine bestimmte Redeweise, die darin besteht, daß sich der Sprechende den Anschein gibt, etwas anderes zu denken und zu glauben, als wirklich der Fall ist; doch muß dieser Gegensatz von Schein und Wirklichkeit, wenigstens dem Verständigen, erkennbar bleiben“ [Meyers Großes Konversationslexikon. 6. Aufl. 1905-09, Bd. 10. S. 27]. bedeutet, so wird/s/t du keine Bemerkung findet/n/, die deiner Ehre Einbrucht thun könnte. Wenn Du jedoch die Definition von Ironie nicht kennen solltest, so schlage Lessings Hamb. Dramaturgie | nachIn Auswahl gehörte die „Hamburgische Dramaturgie“ in der Abschlussklasse (IV. Klasse) des Gymnasiums zum Lehrstoff im Fach Deutsch [vgl. Programm der Aargauischen Kantonsschule, Aarau 1881, S. 18]. Daher könnten die Freunde im Schuljahr 1880/81 am Beispiel ausgewählter Stücke über den witzig-ironischen Stil in Lessings Theaterkritik diskutiert haben.. Ferne sei von mir, daß ich einen Freund durch Spötteleien kränken wollte. Keine Rede von Verachtung. Ich wollte habe mich ebenso niedrig gestellt als Dich und wollte an Deiner Hand mich über die Welt lustig machen, aber nie über dich.

Solltest Du nach diesen Worten noch irgend welchen Zweifel gegen meine Aufrichtigkeit und meine Zuneigung zu dir hegen so schreibe mir nicht mehr, bis ich es mir einst vergönnt sein W wird, jene durch die That zu beweisen.

Nie ahnte ich, von dir so mißverstanden zu werden, sondern glaubte einen Brief abgegeben zu haben, an dem Deine Phantasie sich ergötzen könnte, jene Bilder, in materiellen Kraftzügen hingezeichnet, in zartere, edlere Töne vermischen würde. | Vielleicht bist du dich so starker Redeweisen an mir nicht gewöhnt! Du glaubtest einen Jüngling, dessen Mund mit Honigseimungeläuterter Honig, im übertragenen Sinn: freundlich einschmeichelnde Rede [vgl. DWB, Bd. 10, Sp. 1792]. gefüllt, einen SchmachtlappenHungerleider, Schmarotzer [vgl. DWB, Bd. 15, Sp. 892]. vor dir zu haben.

Wenn du nach diesen Erklärungen dich irgendwie verletzt fühlst, thut es mir leid; ich wollte dir absolut nicht weh thun. Würdest Du jenes Gedichtchendas Gedicht, das Adolf Vögtlin mit seinem Abschiedsbrief an Wedekind in Aarau überreichte [vgl. Adolf Vögtlin an Wedekind, 14.4.1881]. mir zurückschicken, so vergäbest Du dich dadurch eines Andenkens an mich, eines Zeichens meiner freundschaftl. Zuneigung zu Dir. Es würde mir wehthun.

Zum Schlusse noch eine kritisirende Bemerkung: Liebe ist nicht definirt, wenn du sagst: Liebe ist Liebe im höchsten Grade. Ferner kündet sie sich auf verschiedene Arten an. Hier handelt es sich um Liebe, die Freunde verbindet u um Liebe die zur Ehe führt. Es frägt sich, welches die ideellere ist, welche zuerst sich vorfand und welcher Natur die Leidenden sind. Mein Freund, ein Kampf ist auf jeden Fall möglich, vielleicht sogar eine Bekämpfung. – Lebe nun wohl, mein lieber Franklin, verfluche mich in die Höhlen des Elends oder laß mich Dich zum Altar ewiger Freundschaft führen. Wenn du keine Liebe für mich übrig hast, dann schreibe mir einen letzten, lieben Brief. Er wird mir als abschreckende Erinnerung verscherzter Freundschaft dienen und kannst du mich so vor größerem Unglück bewahren. Leb wohl, lebe wohl. Dein Adolphe.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12,5 x 20 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 1 Textverlust in der Falz.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Genf
    8. Juli 1881 (Freitag)
    Sicher

  • Absendeort

    Genf
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 175
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Adolf Vögtlin an Frank Wedekind, 8.7.1881. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

20.04.2022 12:40
Kennung: 2189

Genf, 8. Juli 1881 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Vögtlin, Adolf

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

Genf den 8. Juli 81.


Mein lieber Franklin!

Wenn Du mich versicherst, Du seiest von meinem Briefevgl. Adolf Vögtlin an Wedekind, 2.7.1881. überrascht gewesen, so glaube mir, daß ich es nicht minder war beim Lesen deiner Antwortvgl. Wedekind an Adolf Vögtlin, 5.7.1881.. Ich traute dir und traue dir noch zu, die zwei Farbentöne, die meinem Briefe als Folie dienten, unterscheiden zu können. Der erste Theil ist Ironie; von da an, wo dir der Brief ernst erschien, ist er wirklich ernst gemeint und ich glaube hierin nichts gesagt zu haben, daß d/D/ich irgendwie verletzen könnte: Ich versicherte Dich meiner Freundschaft und gab dir einen guten Rath, so viel ich noch weiß. Daß Du nie um meine | Freundschaft gebuhlt, weiß ich wohl: Nie würde ich sie einem Buhler angetragen haben. Ich sah aber, daß du neben deinem Talent ein gutes Herz besitzest. Das freute mich und gab mir den Anlaß, mich Dir zu nähern. Ich glaubte auch, dir nützlich sein zu können und im Vereine mit einer congenialen Natur das Glück mir versprechen zu dürfen, ein schönes Streben einst möglichst zu verkörpern.

Nun bitte ich Dich, meine Zeilen noch einmal durchzulesen und wenn Du weißt, was Ironierhetorische Figur, „ursprünglich nur eine bestimmte Redeweise, die darin besteht, daß sich der Sprechende den Anschein gibt, etwas anderes zu denken und zu glauben, als wirklich der Fall ist; doch muß dieser Gegensatz von Schein und Wirklichkeit, wenigstens dem Verständigen, erkennbar bleiben“ [Meyers Großes Konversationslexikon. 6. Aufl. 1905-09, Bd. 10. S. 27]. bedeutet, so wird/s/t du keine Bemerkung findet/n/, die deiner Ehre Einbrucht thun könnte. Wenn Du jedoch die Definition von Ironie nicht kennen solltest, so schlage Lessings Hamb. Dramaturgie | nachIn Auswahl gehörte die „Hamburgische Dramaturgie“ in der Abschlussklasse (IV. Klasse) des Gymnasiums zum Lehrstoff im Fach Deutsch [vgl. Programm der Aargauischen Kantonsschule, Aarau 1881, S. 18]. Daher könnten die Freunde im Schuljahr 1880/81 am Beispiel ausgewählter Stücke über den witzig-ironischen Stil in Lessings Theaterkritik diskutiert haben.. Ferne sei von mir, daß ich einen Freund durch Spötteleien kränken wollte. Keine Rede von Verachtung. Ich wollte habe mich ebenso niedrig gestellt als Dich und wollte an Deiner Hand mich über die Welt lustig machen, aber nie über dich.

Solltest Du nach diesen Worten noch irgend welchen Zweifel gegen meine Aufrichtigkeit und meine Zuneigung zu dir hegen so schreibe mir nicht mehr, bis ich es mir einst vergönnt sein W wird, jene durch die That zu beweisen.

Nie ahnte ich, von dir so mißverstanden zu werden, sondern glaubte einen Brief abgegeben zu haben, an dem Deine Phantasie sich ergötzen könnte, jene Bilder, in materiellen Kraftzügen hingezeichnet, in zartere, edlere Töne vermischen würde. | Vielleicht bist du dich so starker Redeweisen an mir nicht gewöhnt! Du glaubtest einen Jüngling, dessen Mund mit Honigseimungeläuterter Honig, im übertragenen Sinn: freundlich einschmeichelnde Rede [vgl. DWB, Bd. 10, Sp. 1792]. gefüllt, einen SchmachtlappenHungerleider, Schmarotzer [vgl. DWB, Bd. 15, Sp. 892]. vor dir zu haben.

Wenn du nach diesen Erklärungen dich irgendwie verletzt fühlst, thut es mir leid; ich wollte dir absolut nicht weh thun. Würdest Du jenes Gedichtchendas Gedicht, das Adolf Vögtlin mit seinem Abschiedsbrief an Wedekind in Aarau überreichte [vgl. Adolf Vögtlin an Wedekind, 14.4.1881]. mir zurückschicken, so vergäbest Du dich dadurch eines Andenkens an mich, eines Zeichens meiner freundschaftl. Zuneigung zu Dir. Es würde mir wehthun.

Zum Schlusse noch eine kritisirende Bemerkung: Liebe ist nicht definirt, wenn du sagst: Liebe ist Liebe im höchsten Grade. Ferner kündet sie sich auf verschiedene Arten an. Hier handelt es sich um Liebe, die Freunde verbindet u um Liebe die zur Ehe führt. Es frägt sich, welches die ideellere ist, welche zuerst sich vorfand und welcher Natur die Leidenden sind. Mein Freund, ein Kampf ist auf jeden Fall möglich, vielleicht sogar eine Bekämpfung. – Lebe nun wohl, mein lieber Franklin, verfluche mich in die Höhlen des Elends oder laß mich Dich zum Altar ewiger Freundschaft führen. Wenn du keine Liebe für mich übrig hast, dann schreibe mir einen letzten, lieben Brief. Er wird mir als abschreckende Erinnerung verscherzter Freundschaft dienen und kannst du mich so vor größerem Unglück bewahren. Leb wohl, lebe wohl. Dein Adolphe.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12,5 x 20 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 1 Textverlust in der Falz.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Genf
    8. Juli 1881 (Freitag)
    Sicher

  • Absendeort

    Genf
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 175
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Adolf Vögtlin an Frank Wedekind, 8.7.1881. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

20.04.2022 12:40