Briefwechsel

von Frank Wedekind und Felix Hollaender

Frank Wedekind schrieb am 2. August 1906 in Lenzburg folgenden Brief
an Felix Hollaender

Lieber FelixFelix Hollaender, Schriftsteller in Berlin (Goethestraße 78) [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1907, Teil II, Sp. 660], Dramaturg am Deutschen Theater zu Berlin (Direktion: Max Reinhardt) sowie Mitglied im Vorstand des Deutschen Theaters [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 286], war „engster Mitarbeiter Max Reinhardts am Deutschen Theater.“ [KSA 3/II, S. 1260] Wedekind hat am 13.6.1904 in München seine Bekanntschaft gemacht: „Holländer kennen gelernt.“ [Tb] Seitdem gab es vor allem in Berlin seit dem 2.3.1905 zahlreiche Begegnungen [vgl. Tb].,

als wir uns in München trafenWedekind hat das Treffen mit Felix Hollaender am 18.7.1906 in München notiert: „mit […] Holländer im Hoftheaterrestaurant“ [Tb]., war davon die Rede, daß Engels aus dem Verband des Deutschen Theaters austrittGeorg Engels, Schauspieler und prominentes Ensemblemitglied des Deutschen Theaters [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 271], dessen Gründungsmitglied er 1883 gewesen ist, war zum 1.7.1906 aus dem Verband der Bühnen Max Reinhardts ausgetreten, wie Siegfried Jacobsohn bemerkte: „Denn eben stellt sich heraus, daß Georg Engels seit dem ersten Juli dem Deutschen Theater nicht mehr angehört.“ [Die Schaubühne, Jg. 2, Nr. 28, 12.7.1906, S. 33]. Wenn ich mich recht erinnre, | sollte Engels in der B.d.P.Die am Deutschen Theater in Berlin geplante Inszenierung von Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ wurde wegen Schwierigkeiten mit der Zensur nicht realisiert – es scheiterten „seit 1906 sämtliche Versuche der Direktion des Deutschen Theaters, eine Freigabe des Stückes zu erwirken“ [KSA 3/II, S. 1206]; die Freigabe scheiterte am Veto des für Theaterangelegenheiten zuständigen Oberregierungsrats Curt von Glasenapp [vgl. KSA 3/II, S. 1260], eine öffentliche Aufführung kam bis 1918 nicht zustande. Felix Hollaender hat Wedekind dem Tagebuch zufolge in Berlin über die Zensurprobleme informiert – so am 26.9.1906 („bei Steinert. Holländer theilt mir mit daß Glasenapp nur drei Aufführungen gestatten will“) und am 2.10.1906 („Nachts im Café Kurfürstendamm erzählt mir Holländer seinen Kampf mit Glasenapp“). den Schigolch spielen. Ich würde Dich nur bitten diese Rolle, bevor Du sie jemand anders übergiebst, mit mir zu versuchen. Ich glaube daß ich dem Stück als Schigolch größere Dienste leisten könnte denn als Jack und daß leichter ein | Ersatz für Jack als für Schigolch zu finden wäre. Immerhin ist dies nur ein Vorschlag.

Als wir uns das letzte MalWedekind hat Felix Hollaender in Berlin zuletzt am 23.4.1906 gesprochen: „Gespräch mit Holländer über Tournee“ [Tb]. im Deutschen Theater sprachen, waren die ArrangierprobenWedekind notierte am 15.6.1906: „Im Deutschen Theater wird die Arrangierprobe der B.d.P. festgesetzt.“ [Tb] Die ersten Proben zur geplanten Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) fanden offenbar am 23. und 24.8.1906 statt. Wedekind selbst hat nach der Rückkehr von einem Gastspiel in Breslau zuerst am 27.8.1906 in Berlin an einer „Pandoraprobe“ [Tb] teilgenommen, dann an zahlreichen weiteren Proben, zuletzt am 18.9.1906 [vgl. Tb]. für B.d.P. auf 23. und 24. August festgesetzt. Sollte darin eine Änderung eingetreten sein, dann | bitte ich Dich mir das gelegentlich mittheilen zu lassen. Ich bleibe jedenfalls noch etwa vierzehn TageWedekind, der sich seit dem 31.7.1906 in Lenzburg aufhielt, reiste am 11.8.1906 von dort wieder ab, zuerst nach München, dann am 17.8.1906 zurück nach Berlin [Tb]. hier in Lenzburg.

Mit den herzlichsten Grüßen Dein
FrWedekind.


Lenzburg Schweiz. Ct. Aargau.

2. August 6.

Frank Wedekind schrieb am 8. Oktober 1906 in Berlin folgenden Brief
an Felix Hollaender

Berlin 8. Oktober 1906.


Lieber Felix,

eben höre ich im Theaterim Deutschen Theater (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin (Schumannstraße 13a), dem Arbeitsplatz des Dramaturgen Felix Hollaender [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 286]., welch ein schwerer VerlustBei dem Todesfall in der Familie handelte es sich um den Tod von Felix Hollaenders Mutter, die der Todesanzeige zufolge am 7.10.1906 in Berlin verstorben ist: „Sonntag, den 7. Oktober, entschlief sanft im 78. Lebensjahre unsere teure Mutter, Schwiegermutter, Grossmutter, Schwester, Schwägerin und Tante / Frau Dr. Renette Hollaender / geb. Danziger. […] Die Hinterbliebenen.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 35, Nr. 513, 9.10.1906, Morgen-Ausgabe, 2. Beiblatt, S. (2)] Die Beerdigung fand am 10.10.1906 auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee statt. Dich betroffen hat. Ich bitte Dich, die Versicherung meiner aufrichtigen herzlichen Theilnahme entgegenzunehmen und meine Anteilnahme auch Deinen Angehörigendarunter die älteren Brüder Felix Hollaenders, beide wie er im Kulturleben Berlins aktiv, der Dirigent und Direktor des Stern’schen Konservatoriums Gustav Hollaender und der Komponist Victor Hollaender. aus|


[Hinweis, Referat und Zitat bei KOTTE Autographs (zuletzt abgerufen 12.12.2019):]


Frank Wedekind [...]. E. Brief m.U., Berlin, 8. Oktober 1906 [..]. An Felix Hollaender, dem er zu einem Todesfall in der Familie kondoliert: „[…] eben höre ich im Theater, welch ein schwerer Verlust Dich betroffen hat. Ich bitte Dich, die Versicherung meiner aufrichtigen herzlichen Theilnahme entgegenzunehmen und meine Anteilnahme auch deinen Angehörigen auszusprechen. Ich wünsche Dir von ganzem Herzen, daß Dir das, was Dir in diesem Augenblick an menschlicher Liebe verloren ging, das künftige Leben reichlich ersetzen möge […]“


Frank Wedekind schrieb am 18. September 1907 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Felix Hollaender

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Tilly Wedekind vom 26.8.1907 aus München:]


Über Marquis Keith in Berlin hörte ich nichts mehr seit meiner Weigerung vor acht Tagen zur Probe zu kommen.

Felix Hollaender schrieb am 23. November 1907 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Felix Hollaender vom 25.11.1907 aus Berlin:]


[...] ich danke dir für dein Anerbieten vom 23.11. [...]

Frank Wedekind schrieb am 25. November 1907 in Berlin folgenden Brief
an Felix Hollaender

Lieber Hollaender!

ich danke Dir für Deine Anerbieten vom 23.11.nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Felix Hollaender an Wedekind, 23.11.1907. und erkläre mich mit dem Spielhonorar für meine FrauTilly Wedekind spielte in der Inszenierung des „Marquis von Keith“ (Premiere: 9.11.1907) unter der Regie Max Reinhardts in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin, die bei der Berliner Kritik durchgefallen ist, die Rolle des Hermann Casimir [vgl. KSA 4, S. 534f., 550f.]; im Personenverzeichnis des Stücks ist angegeben: „15 Jahre alt, von einem Mädchen gespielt“ [KSA 4, S. 150]. Nach der Premiere fanden am 10., 11., 14., 16., 17., 18. und 22.11.1907 weitere Vorstellungen statt, eine letzte Vorstellung wurde am 2.12.1907 gegeben [vgl. Tb]. von M. 50. pro Abend für einverstanden.

Was mich betrifft, so kann ich schlechterdings keinerlei Schauspieler|vertrag inne halten, da meines Wissens kein solcher besteht. Der Vertrag vom 12.12.5Das Vertragsdatum enthält einen Zahlendreher („12“ statt „21“). Wedekind hatte am 21.12.1905 einen Schauspielervertrag mit der Direktion des Deutschen Theaters (Max Reinhardt) abgeschlossen, der vom 1.10.1906 bis zum 31.3.1907 gültig war [vgl. Vinçon 2014, S. 198]. Er notierte am 14.12.1905 ein Treffen mit Felix Hollaender, dem engsten Mitarbeiter Max Reinhardts, das diesen Vertrag betraf: „Kontraktbedingungen für mein Engagement am Deutschen Theater.“ [Tb] ist nicht erneuert und ein neuer Vertrag nicht abgeschlossen worden. Ich habe mir gedacht daß wir mein AuftretenWedekind spielte in der Berliner Neuinszenierung des „Marquis von Keith“ (siehe oben) den Konsul Casimir, den Vater des von Tilly Wedekind gespielten Hermann Casimir. in M. v. Keith gleichfalls per Spielhonorar erledigen, über dessen Höhe, da es sich um mein eigenes StückWedekind hatte am 15.3.1906 einen Autorenvertrag mit der Direktion des Deutschen Theaters abgeschlossen: „Kontract auf 5 Jahre unterschrieben“ [Tb]. handelt jedenfalls keine ZwistigkeitenDie von Wedekind am 3.12.1907 notierte „Unterredung mit Holländer“ [Tb] dürfte die im Brief dargelegte Honorarfrage zum Gegenstand gehabt haben. zwischen uns entstehen werden.

Mit besten Grüßen
Dein
Frank Wedekind.


25.11.7Wedekind notierte am 25.11.1907 in Berlin: „Brief an Holländer.“ [Tb] Er war an diesem Tag von einer kurzen Gastspielreise zurückgekehrt und hatte ein Schreiben vorgefunden (siehe oben), auf das er gleich antwortete..

Felix Hollaender schrieb am 27. Dezember 1907 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Felix Hollaender vom 4.1.1908 aus Berlin:]


[...] mit deinen Zeilen vom 27.12.7 kann ich mich [...] nicht einverstanden erklären [...]

Frank Wedekind schrieb am 4. Januar 1908 in Berlin folgenden Brief
an Felix Hollaender

Lieber Holländer,

mit deinen Zeilen vom 27.12.7nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Felix Hollaender an Wedekind, 27.12.1907. Felix Hollaender, der engste Mitarbeiter Max Reinhardts am Deutschen Theater in Berlin, hatte Wedekind offenbar ein Honorarangebot für die geplante Inszenierung der „Büchse der Pandora“ unterbreitet; sie kam nicht zustande. kann ich mich zu meinem Bedauern nicht einverstanden erklären. Ich glaube bewiesen zu haben, daß ich nicht darauf ausgehe Schätze zu sammeln. Ich möchte aber meine Preise nicht zurückgehen lassen. Ich habe bisher in Berlin noch nicht unter 100 M. undSchreibversehen, statt: gespielt und. müßte der Rollen wegen ebenso lang im Theater bleiben wie | wenn ich die Titelrolle gespielt hätte. Außerdem scheint mir das angebotene Honorar nicht den Gagen angemessen die das Deutsche Theater andern Autoren bezahlt. Ich würde adaher auch in diesem Fall gerne ein Honorar von M. 100 anrechnetSchreibversehen, statt: angerechnet. sehen. Das ist natürlich keine Forderung sondern ein Vorschlag. Zufrieden sein muß ich mit allem was Ihr bietet.

Ich ersuche Dich auch, Max Reinhardt zu bitten, die Frage als eine rein prinzipielle betrachten zu wollen.

Mit besten Grüßen
Dein
Frank Wedekind.


4.1.8.

Frank Wedekind schrieb am 10. September 1913 in Berlin folgenden Brief
an Felix Hollaender

Lieber Felix!

Mit herzlichem Dank sende ich DirDie Beilage, wohl ein Zeitungsauschnitt wahrscheinlich aus der französischen Zeitung „Le Figaro“ (siehe unten), ist nicht überliefert. Deinen AufsatzEin Aufsatz Felix Hollaenders ist weder in der Pariser Tageszeitung „Le Figaro“, noch in dem Wiener und Berliner Journal „Figaro“ nachzuweisen. In der Pariser Tageszeitung ist allerdings ein von Serge Basset gezeichneter kleiner Beitrag über die Aufführung von Wedekinds „Franziska“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters erschienen (Premiere: 5.9.1913, Frank und Tilly Wedekind in den Hauptrollen) , bei dem es sich um den Text handeln könnte, den Felix Hollaender wohl als Zeitungsausschnitt Wedekind hat zukommen lassen und ihn nun zurück erhielt. Er lautet: „De Berlin: M. Frank Wedekind joue ses pièces comme Molière, et il les fait même jouer par sa femme. Aux ‚Kammerspiele‘, le théâtre intime de Reinhardt, il nous a donné un mystère moderne en neuf tableaux, qui a pour nom Franciska. Sa pièce est, en effet, mystérieuse et moderne, et j’ajouterais qu’elle est bien allemande, si je ne craignais d’évoquer dans vos esprits, par cet adjectif, le souvenir de Goethe et de Schiller.“ [Le Figaro, Jg. 59, 3. Serie, Nr. 252, 9.9.1913, S. 5] aus dem „Figaro“ zurück, über den ich mich sehr gefreut habe. Es wird mir eine große Freude sein wenn Du in FrankfurtDie Reputation für Theaterangelegenheiten der Stadt Frankfurt am Main hatte am 10.3.1913 beschlossen, Felix Hollaender die Leitung des Frankfurter Schauspielhauses anzubieten, was dieser zuerst ablehnte, dann aber doch zusagte und seit dem Sommer jeden Samstag von Berlin nach Frankfurt fuhr, da er in Berlin noch Verpflichtungen gegenüber dem Deutschen Theater hatte. Ab dem 1.4.1914 (zuerst war der 1.9.1913 in Aussicht genommen worden) sollte er ganz in Frankfurt arbeiten. Felix Hollaender hatte für das dortige Schauspielhaus bereits neue Stücke erworben und das Ensemble durch Neueinstellungen in seinem Sinne umgestaltet, als am 17.9.1913 publik wurde, dass er auf die Intendanz verzichte. „Der Aufsichtsrat der Frankfurter Theateraktiengesellschaft versendet […] folgende Mitteilung: ‚Wie uns Herr Felix Hollaender mitteilt, hat er aus Gründen privater Natur seine Stellung in Berlin aufgegeben und wird auch nicht in der Lage sein, das Amt des Intendanten des Frankfurter Schauspielhauses anzutreten. […] Herr Hollaender hat sich entschlossen, seine Tätigkeit aufzugeben, um […] nur seinen schriftstellerischen Arbeiten leben zu können.‘“ [Berliner Tageblatt, Jg. 42, Nr. 472, 17.9.1913, Morgen-Ausgabe, S. (3); vgl. Rücktritt Felix Holländers. In: Frankfurter Zeitung, Jg. 58, Nr. 258, 17.9.1913, 1. Morgenblatt, S. 1] Der Rückzug wurde als Skandal wahrgenommen. „Felix Hollaender […] hat seinen Frankfurter Posten fluchtartig verlassen.“ [Bühne und Welt, Jg. 16, 1. Oktoberheft 1913, S. 45] Die privaten Gründe für den Entschluss wurden benannt, dass nämlich der verheiratete „Holländer seit längerer Zeit Beziehungen zu einer jungen Berliner Schauspielerin unterhält.“ [Prager Tagblatt, Jg. 38, Nr. 255, 17.9.1913, Abend-Ausgabe, S. 2] Das war die am Deutschen Theater engagierte Gina Mayer, später die zweite Ehefrau Felix Hollaenders. meinen „Simson oder Scham und Eifersuchtzur Aufführung bringstWedekind, der sein neues Stück „Simson oder Scham und Eifersucht“ (1914) am 6.8.1913 seinem Verleger Georg Müller für die Drucklegung der Buchausgabe übergeben hatte [vgl. KSA 7/II, S. 1266, 1273], dürfte mit Felix Hollaender über sein neues Stück gesprochen haben, als er mit ihm am 4.9.1913 den Abend verbrachte: „Mit Felix Holländer essen wir im Elite Hotel zu Abend“ [Tb]; dabei dürfte Felix Hollaender ihm versprochen haben, als zukünftiger Intendant „Simson“ am Schauspielhaus in Frankfurt zu inszenieren, woraus nichts wurde (siehe oben). Den Abend darauf, der Premierenabend von „Franziska“ am 5.9.1913, sah man sich ebenfalls: „Nachher Souper bei Borchard Holländer Frau und Tochter“ [Tb] ‒ das waren Felix Hollaender, dessen erste Ehefrau Johanna Hollaender (geb. Baumgärtner, verwitwete Gaul) und die gemeinsame Tochter Eva Hollaender); da dürfte aber eher über „Franziska“ gesprochen worden sein, vermutlich der Anlass für Felix Hollaender, Wedekind den Beitrag über die „Franziska“-Inszenierung in „Le Figaro“ vom 9.9.1913 (siehe oben) zukommen zu lassen.. Jedenfalls verspreche ich Dir mit in Frankfurt nicht abzuschließen ohne Dich vorher benachrichtigt zu haben. Für Deine dortige schwere Aufgabe wünsche ich Dir von ganzem Herzen alles Glück. Am meisten ist | ist die Stadt Frankfurt zu beglückwünschen, dann aber wohl auch die Deutsche Literatur in ihrer Gesammtheit, für die Frankfurt bis heute so gut wie unzugänglich war. Ich halte es für eine aussichtsvolle aber nicht leichte Aufgabe, den satten, seichten, engherzigen Millionenstolz zuerst zu brechen, um ihn dann in Begeisterungsfähigkeit zu verwandeln. Wenn dieser Aufgabe etwas gewachsen ist, dann ist es Deine Energie.

Mit besten Wünschen und herzlichsten Grüße von meiner Frau und mir
Dein alter
Frank Wedekind.

Felix Hollaender schrieb am 9. Februar 1914 in Genua folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Felix Hollaender vom 23.2.1914 aus München:]


[...] Ich komme sehr spät dazu, Dir auf Deinen lieben Brief zu antworten. [...] Dein ernster, einfacher, lieber Brief liegt mir am Herzen.

Frank Wedekind schrieb am 23. Februar 1914 in München folgenden Brief
an Felix Hollaender

Lieber Felix!

Ich komme sehr spät dazu, Dir auf Deinen lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Felix Hollaender an Wedekind. 9.2.1914. Der Schriftsteller Felix Hollaender wohnte eigentlich in Charlottenburg (Mommsenstraße 22), war aber „z. Z. im Auslande.“ [Kürschers Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1914, Teil II, Sp. 754] Er hielt sich seit Ende 1913 in Italien auf, aktuell wahrscheinlich in Genua (anderer Korrespondenz zufolge; so hat er in Genua am 17.2.1914 einen Brief an das Düsseldorfer Schauspielhaus geschrieben und am 8.3.1914 eine Postkarte an Gabriele Reuter). Felix Hollaender dürfte Wedekind mit Blick auf dessen Beziehungen zu Theaterleuten darum gebeten haben, sich für ein Bühnenengagement seiner Tochter Eva (siehe unten), einer jungen Schauspielerin, einzusetzen. zu antworten. Das liegt nur daran daß ich in der Zwischenzeit weder Stollberg noch ZiegelWedekind, der Georg Stollberg, Direktor des Münchner Schauspielhauses [vgl. Neuer Theater-Almanach 1914, S. 565], lange nicht gesehen hat, notierte erst am 12.3.1914: „Lange Unterredung mit Stollberg“ [Tb]. Wedekind hat Erich Ziegel, Direktor der Münchner Kammerspiele [vgl. Neuer Theater-Almanach 1914, S. 563], zuletzt am 5.1.1914 gesprochen: „Unterredung mit Ziegel wegen Gastspiel“ [Tb]. noch auch SteinrückWedekind traf Albert Steinrück, Schauspieler und Regisseur am Münchner Hoftheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1914, S. 558f.], am 10.1.1914 in größerer Runde [vgl. Tb], dem vorliegenden Brief zufolge aber sah er ihn zuletzt wohl nach dem 10.2.1914 (siehe unten). gesehen habe und auch jetzt noch nichts tun konnte. Ich mag Dich aber nicht länger warten lassen, damit Du mich nicht falsch verstehst. Die Thatsache wird Dir begreiflich sein, da in diesem Winter noch keine Münchner Bühne irgend etwas von mir gespielt hat. Vor allem, was Du mir schreibst, ist mir sehr sympathisch und lieb. Ich hätte sicher keine Gelegenheit versäumt um für die KünstlerinEva Hollaender, eine junge Schauspielerin, die 18jährige Tochter von Felix Hollaender und seiner ersten Ehefrau (siehe unten), hatte ihr Debut im Ensemble I des Berliner Märkischen Wandertheaters (Leitung: Emil Geyer) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 315] und war anschließend Ensemblemitglied am Stadttheater in Mainz (Direktion: Max Behrend) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 534], wo sie in der Abschiedsvorstellung des Direktors Max Behrend noch immer spielte und Erwähnung fand: „Eva Holländer, die Tochter Felix Holländers“ [Eine Abschiedsvorstellung am Mainzer Stadttheater. In: Berliner Tageblatt, Jg. 43, Nr. 221, 2.5.1914, Abend-Ausgabe, S. (2)]; zuvor war sie in der Presse im Spätsommer 1913 im Zusammenhang der Affäre um Felix Holländers Rücktritt von der Intendanz des Frankfurter Stadttheaters erwähnt: „Eine Tochter Holländers, Fräulein Eva Holländer, ist Schauspielerin am Mainzer Stadttheater.“ [Neues Wiener Journal, Jg. 21, Nr. 7149, 18.9.1913, S. 4] Wo sie danach engagiert war, ist unklar; aktuell jedenfalls war sie offenbar auf der Suche nach einem neuen Engagement. zu sprechen, aber die Gelegenheit gab sich nicht von selbst und extra deswegen hinzugehen, hielt ich nicht für richtig. Du bist ganz sicher, daß ich die erste Gelegenheit | die sich bietet ausnütze. Die wichtigsten Faktoren scheinen mir Steinrück und FrankfurterEugen Frankfurter, Theateragent in Nürnberg, der gerade Gastspiele Wedekinds organisierte [vgl. Wedekind an Eugen Frankfurter, 20.2.1914]., dann auch Stollberg. Ziegel, ein so tapferer Künstler er ist steht höchst unsicher, kommt augenblicklich künstlerisch kaum in Frage und hat eben seine besten Kräfte gekündigt. Stollberg ist mir seit einem Jahr böseWedekind hatte am 22.2.1913 festgehalten: „Stollbergs 60. Geburtstag.“ [Tb] In diesem Zusammenhang sind die Unstimmigkeiten zu vermuten, von denen hier die Rede ist. Sie dürften bei der langen Unterredung am 12.3.1914 (siehe oben) geklärt worden sein., das kann sich aber jeden Tag ändern. Steinrück und Frankfurter habe ich seit vierzehn Tagenseit dem 9.2.1914, genau gerechnet, was aber nur ungefähr gemeint gewesen sein kann, da Wedekind dem Tagebuch zufolge zwischen dem 8.2.1914 („Fahrt nach Berlin“) und dem 10.2.1914 („Abfahrt von Berlin. Schöne Fahrt. Ankunft in München“) nicht in München war (die nicht notierten Begegnungen mit Albert Steinrück und Eugen Frankfurter dürften nach seiner Rückkehr gewesen sein). Wedekind jedenfalls hatte zu diesem Zeitpunkt den Brief Felix Hollaenders (siehe oben) offenbar noch nicht vorliegen. nicht mehr gesehen. Nun war Dein Vorschlag wohl auch nicht so gemeint, daß er sofort verwirklicht werden müßte obschon ich durchaus kein Freund von Zeitvergeuden bin. Das eine kann ich Dir fest versprechen, daß ich von Eva Hollaender sprechen werde, wo sich überhaupt eine Gelegenheit dazu bietet. Der EindruckWedekind war beeindruckt von Eva Hollaender (siehe oben); er saß mit ihr und ihren Eltern bei einem Restaurantbesuch nach der Berliner Premiere von „Franziska“ am 5.9.1913 an einem Tisch: „Nachher Souper [...] Holländer Frau und Tochter“ [Tb]. Ob er sie auch einmal auf der Bühne erlebt hat, ist unklar, aber wenig wahrscheinlich., den mir die Künstlerin machte ist ein in jeder Beziehung achtunggebietender und Dein ernster, einfacher, lieber Brief liegt mir | am Herzen. Wir sind eben im Begriff zu einem kurzen GastspielWedekinds „Marquis von Keith“-Gastspiel am Neuen Schauspielhaus in Königsberg (28.2.1914 bis 2.3.1914), zu dem Wedekind am 25.2.1914 von München über Berlin abreiste und von dort nachts weiter nach Königsberg fuhr: „Abfahrt von München. [...] Abends im Deutschen Theater, dann Café des Westens [...] Abfahrt nach Königsberg“ [Tb]. nach Königsberg zu fahren zu Direktor Geißel, der übrigens nicht in Königsberg bleibt und über kurzem wohl auch eine Direktion in MitteldeutschlandJosef Geißel, seit der Eröffnung des Neuen Schauspielhauses in Königsberg am 8.9.1910 für vier Jahre dessen Direktor [vgl. Neuer Theater-Almanach 1914, S. 513], hatte vor, nach Mannheim zu gehen, wie die Presse bald darauf publik machte. „In Mannheim soll die Gründung eines neuen Theaters bevorstehen, das […] als die erste private Bühne der Stadt geführt werden soll. Die Leitung des Theaters wird Direktor Josef Geißel vom Königsberger Neuen Schauspielhaus übernehmen.“ [Hamburgischer Correspondent, Jg. 184, Nr. 112, 3.3.1914, Morgen-Ausgabe, 1. Beilage, S. 2] Daraus wurde nichts. Er ging stattdessen 1914 für einige Jahre als Direktor an das Deutsche Stadttheater der russischen Stadt Wilna (Vilnius). haben wird. Es ist selbstverständlich, daß ich dort von der Künstlerin sprechen werde, wie überhaupt, wo ich hinkomme. Es ist aber diesen Winter unser erster Ausflug. Außer zu den Simson-ProbenDie Proben für die „Simson“-Inszenierung im Berliner Lessingtheater (Direktion: Victor Barnowsky) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1914, S. 309] hatten am 12.1.1914 begonnen; die letzte Probe absolvierte Wedekind am 20.1.1914 (vier Tage vor der Uraufführung am 24.1.1914), um dann am 21.1.1914 von Berlin abzureisen [vgl. Tb]. „Offiziell sowie zu Beginn der Proben führte Wedekind selbst Regie, legte sie aber vor der Uraufführung nach Kompetenzstreitigkeiten mit Barnowsky nieder und reiste am 21.I.1914 von Berlin ab.“ [KSA 7/II, S. 1339] in Berlin bin ich diesen Winter seit September noch nirgends gewesen.

All die schönen Nachrichten, die Du mir von Dir und Deiner Arbeit schreibst waren mir eine große Freude. Auf Deinen RomanFelix Hollaenders Roman „Der Tänzer. Ein Roman in drei Büchern“ (1918), erschienen vom 4.4.1914 bis 7.7.1914 als Vorabdruck im „Berliner Tageblatt“ (1918 bei S. Fischer als Buchausgabe mit der Widmung: „Gina Hollaender meiner lieben Frau zu eigen“). bin ich sehr gespannt. Ich sehe jetzt ein, wie es Dir möglich war zwei Kriseneinerseits eine berufliche Krise, da die Stellung als Theaterfunktionär dem Beruf als Schriftsteller nicht genügend Raum ließ (verschärft durch die Doppelbelastung als Dramaturg noch am Deutschen Theater in Berlin und als designierter Intendant am Schauspielhaus in Frankfurt am Main), andererseits eine private Krise, die außereheliche Beziehung Felix Hollaenders zu der Schauspielerin Gina Mayer in Berlin und die Auseinandersetzungen mit der ersten Ehefrau Johanna Hollaender (siehe unten), die ihren Mann auf Unterhalt verklagte [vgl. Eine Klage der Gattin Felix Hollaenders. In: Berliner Volks-Zeitung, Jg. 61, Nr. 526, 8.11.1913, Abend-Ausgabe, S. (2)]. zugleich durchzukämpfen um eine durch die andere zu mildern. Möge Dir aus jeder neues dauerndes Glück erblühn. |

Mit gleicher PostHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Buchsendung (oder eine Widmung); erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Felix Hollaender, 23.2.1914. Wedekind schickte Felix Hollaender die im Georg Müller Verlag in München herausgekommene Erstausgabe „Simson oder Scham und Eifersucht. Dramatisches Gedicht in drei Akten“ [vgl. KSA 7/II, S. 1274]. Felix Hollaender hatte noch vor der Drucklegung geplant, das Versdrama am Schauspielhaus in Frankfurt am Main zu inszenieren [vgl. Wedekind an Felix Hollaender, 10.9.1913], dessen Intendant er werden sollte, dann aber abgesagt hatte. sende ich Dir den Simson. Er ist als Epilog zu meiner bisherigen Arbeit gedacht, im übrigen das einfachste, was ich je geschrieben habe. Dank der Meisterleistung KayßlersFriedrich Kayßler, prominenter Schauspieler im Ensemble des Berliner Lessingtheaters [vgl. Neuer Theater-Almanach 1914, S. 309], spielte in der „Simson“-Uraufführung (siehe oben) die Titelrolle – mit großem Erfolg [vgl. KSA 7/II, S. 1339-1350]. So sprach Fritz Engel am 25.1.1914 im „Berliner Tageblatt“ von dem „ausgezeichneten Simsondarsteller Friedrich Kayßler“ [KSA 7/II, S. 1338] oder Emil Faktor meinte im „Berliner Börsen-Courier“ vom 25.1.1914: „Ganz Erfüllung und nervenerregender Mythos wurde Kayßler als Simson.“ [KSA 7/II, S. 1340] hab ich es nicht zu bedauern daß es so rasch zur Aufführung gelangte.

Nun leb wohl. Ich bitte Dich, überzeugt zu bleiben, daß ich der jungen Künstlerin überall gedenken werde.

Mit den besten Grüßen an Dich und Deine junge GemahlinGina Mayer, aus Wien stammende freie Schauspielerin in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1914, S. 838], eigentlich Gisela Ludmilla Adela Mayer, seinerzeit 26 Jahre alt, die Geliebte von Felix Hollaender, die er am 22.6.1914 in Berlin-Schöneberg heiratete, nachdem er von seiner ersten Ehefrau Johanna Hollaender (geb. Baumgärtner, verwitwete Gaul), mit der er seit dem 6.3.1894 verheiratet war (Heirat in Loschwitz), am 24.3.1914 vor dem Landgericht II in Berlin geschieden worden ist. Eine von Felix Hollaender (er befand sich auf der Nordseeinsel Wangeroog, Hotel Monopol) an Gerhart Hauptmann versandte Vermählungsanzeige ist undatiert: „Meine Vermählung mit Fräulein Gina Mayer, Tochter des verstorbenen Herrn Professor J. Wilhelm Mayer und seiner Gattin Gisela, geborene de Grach, zeige ich hierdurch ergebenst an.“ [Staatsbibliothek Berlin, GH Br NL A: Hollaender, Felix, 1, 81-82, Bl.] Die Presse meldete Anfang Juli 1914: „Der Schriftsteller Felix Holländer hat sich mit Fräulein Gina Mayer [...] vermählt.“ [Neue Freie Presse, Nr. 17910, 6.7.1914, Nachmittagsblatt, S. 7] von meiner Frau und mir
Dein alter
Frank Wedekind.


München 23.II.14.

Frank Wedekind schrieb am 23. Februar 1914 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Felix Hollaender

[Hinweis in Wedekinds Brief an Felix Hollaender vom 23.2.1914 aus München:]


Mit gleicher Post sende ich Dir den Simson.

Felix Hollaender und Gina Hollaender schrieben am 23. Juli 1914 in Charlottenburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Felix Hollaender vom 24.8.1914 aus München:]


Dich und Deine verehrte Frau Gemahlin bitte ich, für die [...] Glückwünsche, die Ihr die Freundlichkeit hattet, mir zum fünfzigsten Geburtstag zu senden, [...] Dank entgegen nehmen zu wollen.

Frank Wedekind schrieb am 24. August 1914 in München folgenden Brief
an Felix Hollaender

München, 24 August 18/9/14.


Lieber Freund!

Dich und Deine verehrte Frau Gemahlin bitte ich, für die überaus liebenswürdigen herzlichen Glückwünschenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Felix und Gina Hollaender an Wedekind, 23.7.1914. Felix Hollaender und seine zweite Ehefrau Gina Hollaender (geb. Mayer) in Charlottenburg (Waitzstraße 8) [vgl. Berliner Adreßbuch 1915, Teil I, S. 1237], die am 22.6.1914 in Berlin-Schöneberg geheiratet haben, hatten Wedekind zu seinem 50. Geburtstag am 24.7.1914 gratuliert., die Ihr die Freundlichkeit hattet, mir zum fünfzigsten Geburtstag zu senden, aufrichtigen herzlichen Dank entgegen nehmen zu wollen.

Mit den besten Wünschen und Grüßen
Dein alter
Frank Wedekind.