Vergleichsansicht

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Kennung: 2850

Straßburg, 6. März 1883 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Schmidt, Carl

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Strassburg. 6. März. 83.


Mein Lieber!

Mann! Du machst Fortschritte, jetzt stehst Du auf dem Zenithe +/d/einer raisonirenden, nichtswissenden Uebergangsperiode. Glaube mir, es ist die glücklichste, schönste Zeit deines Lebens. Deine Gefühle sind wahr sie sind berechtigt u. werden ihre WirkugSchreibversehen, statt: Wirkung. behalten dein ganzes Leben hindurch. Lerne nach u nach an eine Kraft glauben, die Dir inne wohnt. Möge sie sein, wie sie wolle, fasse Dir ein Ziel ins Auge, Pessimismus, Optimismus, Liebe, weiche, sinnliche Weibsgelüste alles, kan (auch wenn du auf dem Weibe liegst) kann dir nichts anhaben, schreite vorwärts, dass der Erdboden unter deinen Tritten erdröhnt:


Si fractus(lat.) Wenn die Welt in Trümmer zerfällt, werden sie einen Unerschrockenen treffen; so in „Carmina“ (3, 3, 7-8) von Horaz. illabatur orbis,
Impavidum ferient ruinae.


Du sehnst dich, einen Freund, um dich zu besitzen, ich bin nicht besser dran, oede u. leer habe ich | in Gesellschaft guter CamaradenSchreibversehen, statt: Camarades (frz.) Kameraden. manche Stunde der Erholung gewidmet, u. wenn ich heimkam so war ich missstimmt, hätte ich doch alle diese Zeit meinen Steinen gewidmet. Du verlangst von mir Träume, ich träume blos noch von meiner Zukunft, ich möchte gern Professor der Geologie werdenDer Wunsch ging in Erfüllung, 1890 wurde Carl Schmidt außerordentlicher, 1891 ordentlicher Professor der Geologie an der Universität Basel, wo er bis zu seiner Emeritierung lehrte.. Das ist alles, hohe IdeeenSchreibversehen, statt: Ideen., Mondscheingedanken kommen nur in den Armen geistiger Freunde u die habe ich hier nicht gefunden. Der AlteBiername von Adolf Vögtlin, mit dem Wedekind und Carl Schmidt seit der gemeinsamen Schulzeit in Aarau befreundet waren [vgl. auch Wedekinds Korrespondenz mit Adolf Vögtlin]., Du u. der bleiche RusseDen aus dem Nordkaukasus stammenden Russen Georg Zinowieff hatte Carl Schmidt während des gemeinsamen Studiums im Sommersemester 1882 an der Universität Genf kennengelernt [vgl. Carl Schmidt an Wedekind, 4.6.1882]. sind die einzigen Menschen, denen ich mein volles Herz hingegeben, sonst habe ich noch eine lange Reihe lieber Freunde, aber auch dienen habe ich blos Hand u Kopf u Herz aber nicht mein Blut verschrieben.

Samstag Abend vor Palmsonntagder 17.3.1883; Palmsonntag ist der Sonntag vor Ostern. werde ich nach einer kleinen Tour im Berner-jura zu Hause eintreffen. Verzeih’ wenn ich nicht mehr Dir schreibe. Ich bim/n/ nun hier in Strassburg | noch allein, HirzelArnold Hirzel, der wie Wedekind aus Lenzburg stammte, hatte zusammen mit Carl Schmidt das Abitur an der Kantonsschule Aarau gemacht. Anschließend studierte er in Straßburg Philosophie [vgl. Amtliches Verzeichnis des Personals und der Studenten der Kaiser-Wilhelms-Universität Strassburg für das Sommersemester 1882, S. 25]. ist wegen Gelbsucht heimgereist, die wenige Zeit muss ich noch gehörig arbeiten u. dann können wir ja Tage – Nächte lang durchplaudern, ich will Dir viel erzählen.

Noch eine sachliche Bew/m/erkungvermutlich Carl Schmidts Antwort auf eine konkrete Frage Wedekinds (vielleicht aus einem nicht überlieferten Korrespondenzstück), der fürs Examen den Unterrichtsstoff in der Mineralogie (die „morphologischen, physikalischen und chemischen Eigenschaften der Minerale; die wichtigsten Repräsentanten des Mineralreichs“) bei Professor Friedrich Mühlberg wiederholte [vgl. Programm der Kantonsschule Aarau für das Schuljahr 1882/83, S. 20].. Ob der Diamant unter tiefen Bergmassen verborgen liegt, weiss man nicht, man hat ihn nur an der Oberfläche im Sand u. anderem Dreck gefunden. So lässt sich überall das Edelste an der Oberfläche bes finden, wenn man nur die Geduld des Diamantensuchers besitzt.

Viel Glück aufs ExamenIm Gymnasium der Kantonsschule Aarau stand das Ende des Schuljahrs 1882/83 mit den schriftlichen (März) und mündlichen (April) Versetzungsprüfungen bevor., arbeite wacker.

Lebe wohl auf baldiges
Wiedersehn Dein
Carl

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß: 11 x 17,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 1 hat Wedekind mit Bleistift die Jahreszahl „83“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Als Empfangsort ist der Schulort Wedekinds angegeben.

  • Schreibort

    Straßburg
    6. März 1883 (Dienstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Straßburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Aarau
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 157
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Carl Schmidt an Frank Wedekind, 6.3.1883. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

11.07.2022 22:00
Kennung: 2850

Straßburg, 6. März 1883 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Schmidt, Carl

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

Strassburg. 6. März. 83.


Mein Lieber!

Mann! Du machst Fortschritte, jetzt stehst Du auf dem Zenithe +/d/einer raisonirenden, nichtswissenden Uebergangsperiode. Glaube mir, es ist die glücklichste, schönste Zeit deines Lebens. Deine Gefühle sind wahr sie sind berechtigt u. werden ihre WirkugSchreibversehen, statt: Wirkung. behalten dein ganzes Leben hindurch. Lerne nach u nach an eine Kraft glauben, die Dir inne wohnt. Möge sie sein, wie sie wolle, fasse Dir ein Ziel ins Auge, Pessimismus, Optimismus, Liebe, weiche, sinnliche Weibsgelüste alles, kan (auch wenn du auf dem Weibe liegst) kann dir nichts anhaben, schreite vorwärts, dass der Erdboden unter deinen Tritten erdröhnt:


Si fractus(lat.) Wenn die Welt in Trümmer zerfällt, werden sie einen Unerschrockenen treffen; so in „Carmina“ (3, 3, 7-8) von Horaz. illabatur orbis,
Impavidum ferient ruinae.


Du sehnst dich, einen Freund, um dich zu besitzen, ich bin nicht besser dran, oede u. leer habe ich | in Gesellschaft guter CamaradenSchreibversehen, statt: Camarades (frz.) Kameraden. manche Stunde der Erholung gewidmet, u. wenn ich heimkam so war ich missstimmt, hätte ich doch alle diese Zeit meinen Steinen gewidmet. Du verlangst von mir Träume, ich träume blos noch von meiner Zukunft, ich möchte gern Professor der Geologie werdenDer Wunsch ging in Erfüllung, 1890 wurde Carl Schmidt außerordentlicher, 1891 ordentlicher Professor der Geologie an der Universität Basel, wo er bis zu seiner Emeritierung lehrte.. Das ist alles, hohe IdeeenSchreibversehen, statt: Ideen., Mondscheingedanken kommen nur in den Armen geistiger Freunde u die habe ich hier nicht gefunden. Der AlteBiername von Adolf Vögtlin, mit dem Wedekind und Carl Schmidt seit der gemeinsamen Schulzeit in Aarau befreundet waren [vgl. auch Wedekinds Korrespondenz mit Adolf Vögtlin]., Du u. der bleiche RusseDen aus dem Nordkaukasus stammenden Russen Georg Zinowieff hatte Carl Schmidt während des gemeinsamen Studiums im Sommersemester 1882 an der Universität Genf kennengelernt [vgl. Carl Schmidt an Wedekind, 4.6.1882]. sind die einzigen Menschen, denen ich mein volles Herz hingegeben, sonst habe ich noch eine lange Reihe lieber Freunde, aber auch dienen habe ich blos Hand u Kopf u Herz aber nicht mein Blut verschrieben.

Samstag Abend vor Palmsonntagder 17.3.1883; Palmsonntag ist der Sonntag vor Ostern. werde ich nach einer kleinen Tour im Berner-jura zu Hause eintreffen. Verzeih’ wenn ich nicht mehr Dir schreibe. Ich bim/n/ nun hier in Strassburg | noch allein, HirzelArnold Hirzel, der wie Wedekind aus Lenzburg stammte, hatte zusammen mit Carl Schmidt das Abitur an der Kantonsschule Aarau gemacht. Anschließend studierte er in Straßburg Philosophie [vgl. Amtliches Verzeichnis des Personals und der Studenten der Kaiser-Wilhelms-Universität Strassburg für das Sommersemester 1882, S. 25]. ist wegen Gelbsucht heimgereist, die wenige Zeit muss ich noch gehörig arbeiten u. dann können wir ja Tage – Nächte lang durchplaudern, ich will Dir viel erzählen.

Noch eine sachliche Bew/m/erkungvermutlich Carl Schmidts Antwort auf eine konkrete Frage Wedekinds (vielleicht aus einem nicht überlieferten Korrespondenzstück), der fürs Examen den Unterrichtsstoff in der Mineralogie (die „morphologischen, physikalischen und chemischen Eigenschaften der Minerale; die wichtigsten Repräsentanten des Mineralreichs“) bei Professor Friedrich Mühlberg wiederholte [vgl. Programm der Kantonsschule Aarau für das Schuljahr 1882/83, S. 20].. Ob der Diamant unter tiefen Bergmassen verborgen liegt, weiss man nicht, man hat ihn nur an der Oberfläche im Sand u. anderem Dreck gefunden. So lässt sich überall das Edelste an der Oberfläche bes finden, wenn man nur die Geduld des Diamantensuchers besitzt.

Viel Glück aufs ExamenIm Gymnasium der Kantonsschule Aarau stand das Ende des Schuljahrs 1882/83 mit den schriftlichen (März) und mündlichen (April) Versetzungsprüfungen bevor., arbeite wacker.

Lebe wohl auf baldiges
Wiedersehn Dein
Carl

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß: 11 x 17,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 1 hat Wedekind mit Bleistift die Jahreszahl „83“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Als Empfangsort ist der Schulort Wedekinds angegeben.

  • Schreibort

    Straßburg
    6. März 1883 (Dienstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Straßburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Aarau
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 157
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Carl Schmidt an Frank Wedekind, 6.3.1883. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

11.07.2022 22:00