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Kennung: 3557

Lenzburg, 14. September 1881 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Schibler, Oskar

Inhalt

Schloß Lenzburg, September 81.


Innigst geliebter Herzens-Oskar.

Es ist heute das erste Mal, das ich mein Bett auf einige Stunden verlassenWedekind war Mitte August an einer Rippenfellentzündung erkrankt. habe und so nehme ich denn die Gelegenheit wahr, Dir auf Deinen Liebe athmenden Briefvgl. Oskar Schibler an Wedekind, 8.9.1881. zu antworten. Vier Wochen das Bett hüten, das hat mich arg angegriffen, besonders das entsetzliche Fieber. Ich bin so mager, wie eine alte Geis, thue jetzt aber auch mein m/M/öglichstes, um das Corpus(lat.) Körper, Leib. wieder in Stand zu setzen. Die Lage der Dinge ist durch meine Krankheit natürlich sehr verändert worden, | nächsten Winter muß ich auf Befehl des Doctors noch zu Hause bleiben u. im Frühling will ich sehn nach Solothurn zu gelangenan die Kantonsschule Solothurn, wohin auch Oskar Schibler wollte.. Von Aaraugemeint ist die Kantonsschule Aarau, die Wedekind, nachdem er im Frühjahr 1881 nicht in die III. Klasse des Gymnasiums versetzt worden war, verlassen hatte. wird k ist keine Rede. Aber warum hast Du mir nichs/t/s von M. FleinerWedekind hatte in seinem letzten Brief [vgl. Wedekind an Oskar Schibler, 3.9.1881] um Nachricht über seinen Schwarm Martha Fleiner gebeten, Sie war viertes von fünf Kindern des 1877 verstorbenen Aarauer Zementfabrikanten Albert Fleiner und der Leontine Zschokke-Fleiner. Die Familie wohnte in Aarau in der Laurenzenvorstadt (Nrn. 586-588), zwischen der Kantonsschule Aarau (Nr. 585) und der Aargauischen Kaserne (Nr. 589) [vgl. Verzeichniss sämmtlicher Einwohner, Wohn- und Oekonomie-Gebäude der Gemeinde Aarau. Aarau 1881 S. 29]. geschrieben? Sie ist doch hoffentlich nicht gestorben, oder (Gott segne sie!) anderweitig verunglückt – Im nächsten Brief wirst Du diese Mittheilungen über sie nicht vergessen, denn sie liegen mir sehr am Herzen. Wenn ich nun wieder gehörig auf den Beinen bin und das Wetter schön ist dann wirst d/D/u wohl wieder herüberkommen qa/u/am primum(lat.) möglichst bald. und wir werden auf dem/n/ sanften Thieren des Friedensdie Schlossesel der Familie Wedekind, auf denen die Kinder auch ausritten. das Land durchziehen. Aber eine FerienreiseOskar Schibler hatte in seinem letzten Brief die Anregung dazu gegeben [vgl. Oskar Schibler an Wedekind, 8.9.1881]. werde ich nicht | machen dürfen, denn ich muß mich gar gewaltig in Acht nehmen. Hingegen werde ich wohl wieder ein Mal gen Aarau ziehen um mit Dir einen einige angenehme Stunden zu verbringen und wenn es möglich ist das Licht meiner Seele (Gott segne sie!) zu sehen. O, wie schön wäre es doch auf einer gemeinschaftlichen Ferienreise, aber es geht nicht. Ich mag d/D/ir nicht gern das Vergnügen verderben, indessen ziehe hin in Frieden, Du wirst schon Gesellschaft finden, und meinen Segen nimmst Du auch mit. Was ist denn am 16. SeptemberOskar Schibler wurde an diesem Tag 19 Jahre alt. los? Ich habe jenes Wort nicht lesen können; ich schicke Dir deswegen | jene Stelle wieder zurückdas Papierstück von 11 x 6,5 cm, das Wedekind aus dem letzten Brief Oskar Schiblers herausgeschnitten hatte [vgl. Oskar Schibler an Wedekind, 8.9.1881], liegt dem Brief nicht bei., damit Du dazu schreiben magst was es heißen soll. Nun bin ich zu Ende. Schreibe mir recht bald wieder, dennDer Brief endet mit einem aus Bibelstellen und literarischen Versatzstücken zusammenmontierten Text. die Zeit wird mir langRedewendung. und der Herr ist großTeil biblischer und sakraler Verse [vgl. unter anderem Jesus Sirach 43,5]., wie da stehet geschriebenhäufig verwendete Redewendung in theologischen Kontexten. im 3. Buch SirachDas Buch Jesus Sirach, eine alttestamentarische Spätschrift bestehend aus 51 Kapiteln, wird meist in drei Teile (1. Teil: Kapitel 1-23; 2. Teil: Kapitel 24-42,14; 3. Teil: Kapitel 42,15-51,30) unterteilt. – Martin Luther ordnete das Werk den Apokryphen zu und übernahm den Text nicht in seine Bibelübersetzung. 4.25vermutlich Schreibversehen, statt: 43.5 [vgl. die Anmerkung zu „der Herr ist groß“].. „Du sollst beugen Dein Knie vor dem HerrnBibelzitat [vgl. Epheser 3,14]., auf daß erTeil biblischer Redewendungen. über Dich weg hinwegsehen kann, denn er wird denn nicht ungestraft lassenBibelzitat [vgl. Exodus 20,7; Deuteronomium 5,11]., der über ihn hinweg sieht. Sela!(schweiz.) Wir werden sehen! – (hebr.) ein Musikzeichen „in den poetischen theilen des alten testaments, wahrscheinlich bezeichnung einer musikalischen pause bez. eines zwischenspiels“ [DWB Bd 16, Sp. 429].“ Jetzt also leb wohl und folge Deinem TriebeVers in Johann Wilhelm Ludwig Gleims Gedicht „Klage an die Liebe“., denn der Herr sagt: „Sehet die Lilien auf dem FeldeBibelzitat [vgl. Matthäus 6,28].; sie säen nich, sie ernten nicht und ihr Vater im Himmel nährt sie dochin Anlehnung an Matthäus 6,26. – „nich“: Schreibversehen, statt: nicht..“ – Gott segne Dich, Lilie auf dem FeldeAnalogie zum Schlussvers „Röslein auf der Heiden“ in Goethes Heideröslein (1827)., und denk zuweilen an Deinen auf Antwort harrenden Freund Franklin.


[Seite 3 am unteren Rand um 180 Grad gedreht:]


p. s. Vielen Dank für den Regenschirm. Amen!

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 18,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
:Auf Seite 3 befindet sich am unteren Rand um 180 Grad gedreht ein Postscript. Eine Abschrift des abgesandten Briefes ist im Stadtarchiv Lenzburg im Nachlaß Sophie Haemmerli-Marti überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 14.9.11881 ist als Ankerdatum gesetzt ‒ einen Tag für den Postweg von Lenzburg nach Aarau gerechnet das späteste mögliche Schreibdatum für das Korrespondenzstück, auf das Oskar Schibler am 15.9.1881 antwortet.

  • Schreibort

    Lenzburg
    14. September 1881 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Aarau
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Aargauer Kantonsbibliothek

Aargauerplatz
5001 Aarau
Schweiz

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Wedekind-Archiv
Signatur des Dokuments:
Wedekind-Archiv B. Mappe 6, Slg. Oskar Schibler
Standort:
Aargauer Kantonsbibliothek (Aarau)

Danksagung

Wir danken der Aargauer Kantonsbibliothek für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Oskar Schibler, 14.9.1881. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

16.01.2023 14:47
Kennung: 3557

Lenzburg, 14. September 1881 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Schibler, Oskar
 
 

Inhalt

Schloß Lenzburg, September 81.


Innigst geliebter Herzens-Oskar.

Es ist heute das erste Mal, das ich mein Bett auf einige Stunden verlassenWedekind war Mitte August an einer Rippenfellentzündung erkrankt. habe und so nehme ich denn die Gelegenheit wahr, Dir auf Deinen Liebe athmenden Briefvgl. Oskar Schibler an Wedekind, 8.9.1881. zu antworten. Vier Wochen das Bett hüten, das hat mich arg angegriffen, besonders das entsetzliche Fieber. Ich bin so mager, wie eine alte Geis, thue jetzt aber auch mein m/M/öglichstes, um das Corpus(lat.) Körper, Leib. wieder in Stand zu setzen. Die Lage der Dinge ist durch meine Krankheit natürlich sehr verändert worden, | nächsten Winter muß ich auf Befehl des Doctors noch zu Hause bleiben u. im Frühling will ich sehn nach Solothurn zu gelangenan die Kantonsschule Solothurn, wohin auch Oskar Schibler wollte.. Von Aaraugemeint ist die Kantonsschule Aarau, die Wedekind, nachdem er im Frühjahr 1881 nicht in die III. Klasse des Gymnasiums versetzt worden war, verlassen hatte. wird k ist keine Rede. Aber warum hast Du mir nichs/t/s von M. FleinerWedekind hatte in seinem letzten Brief [vgl. Wedekind an Oskar Schibler, 3.9.1881] um Nachricht über seinen Schwarm Martha Fleiner gebeten, Sie war viertes von fünf Kindern des 1877 verstorbenen Aarauer Zementfabrikanten Albert Fleiner und der Leontine Zschokke-Fleiner. Die Familie wohnte in Aarau in der Laurenzenvorstadt (Nrn. 586-588), zwischen der Kantonsschule Aarau (Nr. 585) und der Aargauischen Kaserne (Nr. 589) [vgl. Verzeichniss sämmtlicher Einwohner, Wohn- und Oekonomie-Gebäude der Gemeinde Aarau. Aarau 1881 S. 29]. geschrieben? Sie ist doch hoffentlich nicht gestorben, oder (Gott segne sie!) anderweitig verunglückt – Im nächsten Brief wirst Du diese Mittheilungen über sie nicht vergessen, denn sie liegen mir sehr am Herzen. Wenn ich nun wieder gehörig auf den Beinen bin und das Wetter schön ist dann wirst d/D/u wohl wieder herüberkommen qa/u/am primum(lat.) möglichst bald. und wir werden auf dem/n/ sanften Thieren des Friedensdie Schlossesel der Familie Wedekind, auf denen die Kinder auch ausritten. das Land durchziehen. Aber eine FerienreiseOskar Schibler hatte in seinem letzten Brief die Anregung dazu gegeben [vgl. Oskar Schibler an Wedekind, 8.9.1881]. werde ich nicht | machen dürfen, denn ich muß mich gar gewaltig in Acht nehmen. Hingegen werde ich wohl wieder ein Mal gen Aarau ziehen um mit Dir einen einige angenehme Stunden zu verbringen und wenn es möglich ist das Licht meiner Seele (Gott segne sie!) zu sehen. O, wie schön wäre es doch auf einer gemeinschaftlichen Ferienreise, aber es geht nicht. Ich mag d/D/ir nicht gern das Vergnügen verderben, indessen ziehe hin in Frieden, Du wirst schon Gesellschaft finden, und meinen Segen nimmst Du auch mit. Was ist denn am 16. SeptemberOskar Schibler wurde an diesem Tag 19 Jahre alt. los? Ich habe jenes Wort nicht lesen können; ich schicke Dir deswegen | jene Stelle wieder zurückdas Papierstück von 11 x 6,5 cm, das Wedekind aus dem letzten Brief Oskar Schiblers herausgeschnitten hatte [vgl. Oskar Schibler an Wedekind, 8.9.1881], liegt dem Brief nicht bei., damit Du dazu schreiben magst was es heißen soll. Nun bin ich zu Ende. Schreibe mir recht bald wieder, dennDer Brief endet mit einem aus Bibelstellen und literarischen Versatzstücken zusammenmontierten Text. die Zeit wird mir langRedewendung. und der Herr ist großTeil biblischer und sakraler Verse [vgl. unter anderem Jesus Sirach 43,5]., wie da stehet geschriebenhäufig verwendete Redewendung in theologischen Kontexten. im 3. Buch SirachDas Buch Jesus Sirach, eine alttestamentarische Spätschrift bestehend aus 51 Kapiteln, wird meist in drei Teile (1. Teil: Kapitel 1-23; 2. Teil: Kapitel 24-42,14; 3. Teil: Kapitel 42,15-51,30) unterteilt. – Martin Luther ordnete das Werk den Apokryphen zu und übernahm den Text nicht in seine Bibelübersetzung. 4.25vermutlich Schreibversehen, statt: 43.5 [vgl. die Anmerkung zu „der Herr ist groß“].. „Du sollst beugen Dein Knie vor dem HerrnBibelzitat [vgl. Epheser 3,14]., auf daß erTeil biblischer Redewendungen. über Dich weg hinwegsehen kann, denn er wird denn nicht ungestraft lassenBibelzitat [vgl. Exodus 20,7; Deuteronomium 5,11]., der über ihn hinweg sieht. Sela!(schweiz.) Wir werden sehen! – (hebr.) ein Musikzeichen „in den poetischen theilen des alten testaments, wahrscheinlich bezeichnung einer musikalischen pause bez. eines zwischenspiels“ [DWB Bd 16, Sp. 429].“ Jetzt also leb wohl und folge Deinem TriebeVers in Johann Wilhelm Ludwig Gleims Gedicht „Klage an die Liebe“., denn der Herr sagt: „Sehet die Lilien auf dem FeldeBibelzitat [vgl. Matthäus 6,28].; sie säen nich, sie ernten nicht und ihr Vater im Himmel nährt sie dochin Anlehnung an Matthäus 6,26. – „nich“: Schreibversehen, statt: nicht..“ – Gott segne Dich, Lilie auf dem FeldeAnalogie zum Schlussvers „Röslein auf der Heiden“ in Goethes Heideröslein (1827)., und denk zuweilen an Deinen auf Antwort harrenden Freund Franklin.


[Seite 3 am unteren Rand um 180 Grad gedreht:]


p. s. Vielen Dank für den Regenschirm. Amen!

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 18,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
:Auf Seite 3 befindet sich am unteren Rand um 180 Grad gedreht ein Postscript. Eine Abschrift des abgesandten Briefes ist im Stadtarchiv Lenzburg im Nachlaß Sophie Haemmerli-Marti überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 14.9.11881 ist als Ankerdatum gesetzt ‒ einen Tag für den Postweg von Lenzburg nach Aarau gerechnet das späteste mögliche Schreibdatum für das Korrespondenzstück, auf das Oskar Schibler am 15.9.1881 antwortet.

  • Schreibort

    Lenzburg
    14. September 1881 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Aarau
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Aargauer Kantonsbibliothek

Aargauerplatz
5001 Aarau
Schweiz

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Wedekind-Archiv
Signatur des Dokuments:
Wedekind-Archiv B. Mappe 6, Slg. Oskar Schibler
Standort:
Aargauer Kantonsbibliothek (Aarau)

Danksagung

Wir danken der Aargauer Kantonsbibliothek für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Oskar Schibler, 14.9.1881. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
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Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

16.01.2023 14:47