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T. W.
Montag,
6.VII.14.
Innigst geliebter Frank,
von heute giebt es nicht viel zu erzählen. Vormittag hatte ich Tanzstunde, zu der jetzt immer Fräulein
Heute erhielt ich übrigens auch einen Brief von meinen
Eltern nicht überliefert. aus Berchtesgaden. Es gefällt ihnen sehr, sie sind sehr zufrieden u.
laden mich natürlich auch ein mit den Kindern zu kommen.
abends 11 Uhr.
Inzwischen war ich in einer „ProtestversammlungErich Mühsam hat dem Polizeispitzelbericht vom 7.7.1914 zufolge die Protestversammlung gegen die Zensur am 6.7.1914 in der Schwabinger Brauerei München (Leopoldstraße 82) [vgl. Adreßbuch für München 1915, Teil I, S. 651; Teil II, S. 375], das „damals größte Schwabinger Lokal“, das Platz „für über 700 Personen“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 257] bot, einberufen (Beginn: 20.20 Uhr, Ende: 22.45 Uhr): „Betreff: Versammlung in der Schwabinger Brauerei, Leopoldstr. 82, einberufen von Erich Mühsam. Auftragsgemäss überwachte ich [...] die in der Schwabinger Brauerei von Erich Mühsam veranstaltete Protestversammlung gegen die Theaterzensur mit dem Thema: Die Bevormundung des Geistes durch den Säbel.“ [KSA 7/II, S. 1385] gegen die Polizeizensur“
in der Schwabinger Brauerei in der Mühsam sprach Im Polizeispitzelbericht über die Protestversammlung gegen die Zensur (siehe oben) heißt es: „Erich Mühsam legt zunächst die Gründe dar, welche zur Einberufung der Protestversammlung geführt haben und betont, dass es neben andern Vorgängen ganz besonders das Verbot des ‚Simson‘ von Wedekind gewesen wäre.“ [KSA 7/II, S. 1385] Die Presse berichtete: „Erich Mühsam hatte das Referat übernommen und forderte in teilweise sehr wirksamer Rede zum nimmermüden Kampf gegen die polizeiliche Kunst- und Theaterzensur auf. Denn sie stützt sich nicht auf Gesetze, sondern ist auf dem Verordnungswege [...] langsam eingeführt worden. Auch über den Zensurbeirat, insbesondere über Herrn Geheimrat v. Possarts Beurteilung von Wedekinds ‚Simson‘, fielen scharfe Worte, die bei der Versammlung lauten demonstrativen Beifall fanden. [...] Um im Kampfe gegen die Zensur erfolgreich zu sein, genüge nicht eine Willenskundgebung, meinte der Redner, es müsse gehandelt werden. Er selbst schlug zwei Wege vor [...]. Der eine wäre, nach dem Muster der Berliner Filmfabrikanten, die wegen der hohen Zensurkosten einen Streik durchgeführt hatten, einen Streik der Theaterdirektoren zu inszenieren. Der andere Weg ist dazu angetan, die Krone zu treffen, ihre Einkünfte zu schmälern und dadurch eine Pression auszuüben, bis die Kunst- und Theaterzensur aufgehoben werde. Das Mittel hiezu sieht der Redner in einem Boykott des königl. Hofbräu Hauses, der umso leichter durchzuführen wäre, als die Münchener deshalb nicht einen Tropfen Bier entbehren müßten, da ja die anderen Brauereien mit Vergnügen Ersatzstoff liefern würden.“ [Protestversammlung gegen die Polizeizensur. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 67, Nr. 344, 8.7.1914, Vorabendblatt, S. 4] u. zwar wieder mit Frau
Eysold. Wir hatten uns nicht verabredet, ich wusste nicht dass sie hier ist,
sie wusste nicht ob ich gehen wolle. Jenny war verabredet
Ich fühle mich ja ihr gegenüber wie ein unmündiges Kind, freue
mich aber wirklich sehr über | ihre Herzlichkeit. Sie liebt mich ja wohl nur,
weil ich Deine Frau bin. Aber wieviel könnte ich von ihr lernen! Nur fürchte
ich, dass sie wenn sie mich näher kennen lernt,
vielleicht nicht mehr soviel Interesse an mir nimmt. Doch bin ich glücklich mal
mit einer Frau zu verkehren, von der auch Du viel hältst.
Herzlichsten Dank für Dein Telegramm vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 6.7.1914 (Telegramm).! Ich wäre ja sehr froh,
wenn Du in 8 Tagen wieder hier wärst, Geliebter, will Dir aber nicht zureden.
Schließlich tust Du ja doch auch, was Du willst. In 8 Tagen ist auch Anna Pamela’s
Schulschluss.
Ich bin sehr froh, dass Du durch die Zeitungsausschnitte Presseberichte über das vorgezogene Bankett am 24.6.1914 zu Wedekinds 50. Geburtstag im Bayerischen Hof in München [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 4.7.1914]. beruhigt
bist, es war eben doch | wohl ein Zufall. Ich begreife nur nicht, weshalb Du
Dich deswegen mit Jemand schießen„Replik auf Wedekinds Formulierung“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 258] im zuletzt erhaltenen Brief [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 4.7.1914]. müsstest.
Nun will ich aber schlafen gehen. Morgen heisst es wieder fleißig
üben. Ich hoffe, Du bist einverstanden damit, dass
ich zu Mühsam’s Vortrag gieng u. bete zu Gott, dass es keine Missstimmungen
zwischen uns giebt.
Sei tausendmal innigst geküsst geliebter, theuerster Frank,
von Deiner Tilly
Bestehend aus 4 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben
München
6. Juli 1914 (Montag)
Sicher
München
Datum unbekannt
Datum unbekannt
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia
Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13
Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.
Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 6.7.1914. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (24.11.2025).
Ariane Martin