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UNSERM LIEBEN VATER
D R..
zum
siebzigsten Geburtstage
DEN 21. FEBR. 1886.
seine
Söhne Wie aus dem Briefwechsel mit seinen Brüdern Armin und William hervorgeht, war Frank Wedekind der alleinige Verfasser des Briefgedichts, an dem er seit Anfang Februar arbeitete [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 1.2.1886]. Am Geburtstag des Vaters trug Armin Wedekind das Gedicht auf Schloss Lenzburg vor [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 25.2.1886].:
Innig geliebter Vater!
Heut schlug ein Ehrentag, ein Tag der Freude,
Die dunkeln Wimpern auf zum Sonnenlicht;
Er steht geschmückt im festlichen Sonntagskleide,
Lieb’ und Verehrung im leuchtenden Angesicht.
Und wir begrüßen ihn mit herzlichem Frohlocken,
Von unsern Lippen tönt der Weihgesang;
Und tief im
Begleiten uns mit mächtigem Feierklang.
Denn siebzig Mal erneute sich der Lauf
Des vollen Jahr’s mit seinen bunten Gaben,
Denn siebzig holde Lenze blühten auf,
Und siebzig Herbste hat der Schnee begraben,
Seit sich dein Aug’, o Vater, dem Licht erschloß,
Seit Du begonnen hast in edlem Streben.
Heut’ blickst als Sieger Du auf ein reiches Leben,
Das stürmisch wogend an Dir vorüber floß. |
Und aufrecht in der Würde Deiner Jahre,
Noch immer kraftvoll thätig ohne Rast,
Trägst Du den heil’gen Schmuck der weißen Haare
Und der
Und Deine
Empor an ihres Vaters hehrem Bild;
In Thun und Wandel einst ihm gleich zu werden,
Das ist der Stolz, der ihre Brust erfüllt. ––
Früh zogst hinaus du in die Weite
Mit frischem Muth und freiem Sinn;
Und treulich gab dir das Geleite
Die Kunst, die edle Helferin.
Viel fremde Länder, fremde Sitten
Hast Du gesehn auf langer Fahrt.
Oft wandelte dein Fuß inmitten
Von Heidenzeit und Gegenwart.
Nun blickst du von erhab’ner Warte
Weit über Welt und Jahre hin,
Und über Deines Glücks Standarte
Siehst du die ewgen Sterne ziehn.
Verklärt erscheinet dir das Leben,
Das du ergriffen kühn und t jung;
Die naht sich nun auf leichten Schwingen
Mit zaubervollem Lautenklang
Und hebt begeistert an zu singen
Von deinem ganzen Lebensgang:
Viel freie Geister hatten schon gesprochen,
Als ein Jahrhundert in die Grube sank,
Als noch der Despotismus nicht gebrochen,
Der siech das Blut aus tausend Herzen trank.
Schwer lagen noch die Ketten auf dem Volke,
Groll und Entrüstung wälzten sich zu Hauf,
Am Horizont stieg
Ein Blitz – und alles ging in Flammen auf.
Da scholl von Westen her durch alle Lande
Der Weckruf, der in jede Seele drang:
Zerbrich, o Menschheit, die verhaßten Bande!
Zertritt den alten morsch geword’nen Zwang!
Dies Flammenwort befeuerte Millionen
Verzweifelter zu wilder Kampfbegier,
Und auf den Trümmern von zerschellten Thronen
Hob sich der Freiheit leuchtendes
Umstrahlt vom Glanze seines hehren Lichts,
So zog der Racheengel des Gerichts
Im Siegeslauf durch Schlachten und Gefechte. |
Und Jung und Alt, durchglüht von Dankbarkeit,
Folgt dem Erob’rer durch Europas Grenzen,
Das neue Schwert dem neuen Kampf geweiht,
Die Stirn’ des großen Völkerherrn zu kränzen. ––
Weh ihm, daß auf dem Gipfel seines Glückes
Der Siegestaumel seinen Geist berauscht,
Daß er das Amt als Rächer des Geschickes
Mit des Tyrannen Scepterstab vertauscht;
Daß er, vergessend seiner ed’len Sendung,
Erneute Fesseln um die Völker wand. ––
Er ward gestürzt vor seines Werks Vollendung,
Gebrochen,
Zum Siegesfluge die gestärkten Schwingen.
Noch einmal zog die kampfbewährte Schaar
Durch Meer und Land zu n/he/ißem Todesringen;
Auf einem
Ringsum vom kalten Wellengrab umfriedet,
Ward der
In feiger Furcht auf ewig festgeschmiedet.
Am Horizont manch weißes Segel blinkt
Und zieht gen Osten durch die blauen Fluthen; |
Doch keines naht, das ihm Erlösung bringt,
Und qualvoll muß das stolze Herz verbluten. ––
Seitdem t/s/chem Schiff gefangen,
Kommt ein
In den Ohren trägt er Ringe.
Neubegierig Knaben, Mädchen
Forschen, was er ihnen bringe.
Mit der regungslosen Würde
Schwerbelasteter Naturen
Trägt er auf dem Haupt die Bürde
Vieler blanker Gypsfiguren.
Da war
Waren z/Z/üge;
Da war
Alle schauten unterthänig |
Auf den
Auf den stolzen
„Kaufet, kaufet Gypsfiguren!“
Ruft der dunkle Träger heiser.
„Kauft die herrlichsten Sculpturen,
„Kaufet Könige und Kaiser!“
Mitten auf dem Traggerüste,
Ach, auf einem schwachen Thron,
Steht die lebensgroße Büste
Von dem Held Napoleon;
Stand die lebensgroße Büste
Von Napoleon, der eben,
Fern der heimatlichen Küste,
Sterbend sich
Stand des großen Kaisers Büste
Der noch jüngst Europa schreckte
Und vom
Lybiens seine Macht erstreckte.
„Kaufet, kaufet Gypsfiguren!“
Rief der dunkle Träger heiser.
„Kauft die herrlichsten Sculpturen!
„Kaufet Kön’ge, kauft den Kaiser!“
„Ha der Kaiser, der Dictator!“
Ruft nun einer von den Knaben. |
„Laßt den todten Imperator,
Laßt ihn würdig uns begraben!
„Auf St. Helena, dem Felsen,
Wo die Britten ihn bewachten;
Wird er sich im Grabe wälzen
Und umsonst nach Ruhe schmachten.
„Lasset uns den großen Todten,
Der so schwer gebüßt die Sünden,
Laßt ihn uns in würd’gem Boden
Ehrenvolle Ruhe finden. –
„Hier sind
Den Verrathnen zu erlösen.
Was man auch für Gründe bringe,
Er ist doch ein Held gewesen.
„Er ein Held, emporgetragen
Durch der Götter Huld und Gunst
Leitete den Sonnenwagen
In entflammter Kriegesbrunst.
„Jäh vom wilden Sonnenwagen
Stürzt’ der stolze Phaeton.
So, von eig’ner Wucht erschlagen,
Stürzt’ und fiel Napoleon. –“
Und der Träger nimmt vom Scheitel
Drauf den weißen Held herunter;
Streicht die Groschen in den Beutel.
Weiterwandernd ruft er munter: |
„Gypsfiguren, Gypsfiguren!
Kaufet Feldherrn, kaufet Dichter!
Nach den herrlichsten Sculpturen
Sind gebildet die Gesichter!“
Aber tief im stillen Garten,
Wo des Lenzes erste Gaben
Sich in lausch’gem Frieden schaarten,
Ward indeß ein Grab gegraben.
Fest mit Steinen ausgemauert,
Wurden Seiten, ward der Boden,
Und die junge Schaar betrauert
Emsig ihren großen Todten.
Frische Blumen, Rosen, Flieder
Himmelsschlüssel, Veilchen senken
In das kalte Grab sich nieder,
Es mit süßem Duft zu tränken.
Und die Knaben Paar um Paare
Bilden eine Procession;
Eine
Trägt den Held Napoleon.
Seine stolze Stirne krönte
Jetzt ein
Seines Ruhmes Preis ertönte
Dumpf in Trauermelodien. |
Und wie nun am stillen Orte
Alle um die Baare traten,
Priesen eines Knaben Worte
Des Gekrönten Heldenthaten.
Seine Züge, seine Kriege,
Die den Menschen Freiheit brachten,
Seine heißerkämpften Siege
In den wilden Völkerschlachten.
Als dann senkten sie ihn nieder
In die blumenreiche Gruft,
Und die leisen Klagelieder
Wehten durch die Abendluft.
Eine schwere Steinplatt deckte
Die geweihte Kammer zu,
Daß kein Feind den Todten weckte
Aus der langersehnten Ruh.
Und den Stein deckt frische Erde,
Deckt des alten Rasens Flor;
Und die Sonne sprach: „Es werde!“
Blumen sproßten draus hervor.
Als der Sommer hingegangen,
Welkten auch die Blumen ab;
Als die Lerchen wieder sangen,
Schmückten sie erneut das Grab. |
So vergingen viele Jahre.
O wie längst zogst du vorbei,
Engelskind im Lockenhaare,
Goldne Jugendschwärmerei!
Deine Sonnen, Deine Wonnen,
Alles, alles floh dahin.
Nur Dein Bild ist nicht zerronnen,
Traumhaft lebt es noch im Sinn.
Sein gedenken meine Thränen,
Und mein Aug’ blickt heimatwärts,
Und ein heißes, heißes Sehnen
Füllt das kampfbewährte Herz. ––
Und Zeiten kommen, Zeiten fliehn
An dir vorbei mit leichtem Schritt,
Und drüber her die Wolken ziehn
Und bringen Glück und Unheil mit.
Ein harter Winter geht zu Rande,
Der Frühling sprengt des Eises Bande.
Und überall, auf Berg und Flur,
Im Hain und auf dem Wiesenplan
Erwacht die schlummernde Natur,
Mit Brautgewändern angethan
Vom warmen Sonnenstrahl getroffen
Lebt auf das Herz in neuem Hoffen. |
Des Unglücks schadenfrohe Hand.
Sie wälzt gethürmte Wogen her
Und wirft sie höhnend an den Strand. ––
Weh, wenn die Küsten, trotz den Dämmen,
Die wachsende Gewalt nicht hemmen.
Und Angst ergreift ein jedes Herz,
Es schwillt die Angst, es schwillt die Fluth;
Sie bäumt sich heulend himmelwärts.
Umsonst, umsonst ist ihre Wuth:
Land auf, Land ab, an allen Orten
Tobt sie vor festverschloß’nen Pforten. ––
Doch schwächlich Menschenhandwerk! – Wer
Könnt hinter Dir geborgen sein!
Der Damm zerreißt, da stürzt das Meer
Verschlingend übers Land herein;
Und über Noth und Jammer nieder
Senkt sich der tiefsten Nacht Gefieder.
Es saust und brauset nah und fern;
Des Mondes Scheibe leuchtet nicht,
Am ganzen Himmel blinkt kein Stern,
In Haus und Hütte brennt kein Licht.
Und furchtbar hört der Mensch mit Zagen
Die Fluth an Thür und Fenster schlagen.
Da stürzt das Thor mit Schlag und Krach,
Im Hause wogt ein wildes Meer; |
Die Menschen flüchten sich aufs Dach,
Die Wasser steigen hinter her;
Und dumpf verschlingt ihr lautes Tosen
Das Wehgeschrei der Rettungslosen.
Kein Land, soweit das Auge dringt;
Kein Licht in grauser Dunkelheit;
Kein Nachen, der Erlösung bringt,
So laut die Stimm’ um Hülfe schreit. –
Schon gierig leckend auf und nieder
Umspült die Fluth die starren Glieder.
Da wurde wol zum schönsten Fest
Dem Sensenmann das Wellengrab.
Der Sturmwind die Posaune bläßt
Und peitscht die Zagenden hinab.
Und Noth und Tod und Sterbgewimmer,
Sie dauern bis zum Morgenschimmer. –
Und als der Morgen brach heran,
Stellt sich das ganze Elend dar.
Da zog man aus mit Schiff und Kahn,
Zu retten was noch übrig war.
Auch du, o Vater,
Standst schaudernd an dem Wellengrabe.
Das Wasser sank. Der heiße Lauf
Des Sommers brachte neue Noth;
Denn aus dem feuchten Boden auf
Stieg
Die Zeiten kommen und enteilen;
So laßt uns hier nicht länger weilen! ––
Herangereift an Leib und Geist
In heimischen Gefilden,
Bist, Vater, Du dann abgereist,
Dich weiter auszubilden.
Ein Tag und eine Nacht ging um,
Da warst du schon zur Stelle.
Ein treffliches
Zog damals dich nach
Da wurde mensa (lat.) Tisch. declinirt
Die Lehrer sprachen: „
Es ist dir gut gelungen.“
Verdeutschtest du
Die einst
Doch auch der wackre
Mit seinen schönen Sätzen,
Er konnte Dich fast ebenso
Begeistern und ergötzen. |
Man las den
Von
Zuvor das
Des heiligen Mathäus.
Nun kam das Griechisch an die Reih,
Das war schon etwas schwerer.
Von
Erzählten da die Lehrer.
Und was auf Erden war geschehn,
Ward von den ersten Sagen
Bis zu der Völker Untergehn
Getreulich vorgetragen.
Allein auch die
Sie fanden guten Boden:
Der strengen Mathematika
Exempel und Methoden.
So mußte man ohn’ Unterlaß
Gar viele Stunden widmen
Dem
Und
Die Luft indeß war schwer und schwül,
Schon regt es sich
Wie Rebellion und Kampfgewühl
Und ferne Donner tosten. |
Die Luft war schwül, die Luft war schwer;
Es zitterte
Ein junger Thron von Ungefähr
In seinen tiefsten Vesten.
Und ach, im großen deutschen Reich,
Von Trug und Haß umlagert,
Wie war die Freiheit blaß und bleich
Und gänzlich abgemagert.
Die heiße Julisonne läßt
Die Gluth zum höchsten steigen;
Da lodert’s auf in Ost und West
In wildem Todesreigen.
Es lodert auf und kracht und fällt
Drauf steht die ganze weite Welt
In lichterlohen Flammen.
Werft ab, werft ab das alte Joch,
Das euch so lang gekettet!
So habt ein Vaterland ihr noch
Und Polen ist gerettet.
Da gab es heißen Todeskampf;
Es schmettern die Trompeten
Durch Mordgewühl und Pulverdampf
Und frommer Streiter Beten. –
Triumph, Triumph!
Brennt auch die Todeswunde. |
Laut stimmten in das Siegsgeschrei
Die Völker in der Runde.
Und
Zur Linderung der Schmerzen.
Da zog auch die Begeisterung
In eure junge Herzen.
Und wenn der Tag vollendet war,
Der Abend sank hernieder, –
Durch’s Städtchen tönten hell und klar
Die stolzen
Da ward wol in der jungen Brust
Erweckt ein süßes Ahnen:
Wann werden wir mit Lieb und Lust
Erheben unsre Fahnen?
Geduld, Geduld! Es bringt die Zeit
Uns Kraft und Männerstärke.
Dann bin auch ich zum Kampf bereit
Und zum Erlösungswerke. ––
O, armes Polen! Fürchterlich
Der Feind fällt würgend über dich
Und blutend klafft die Wunde.
Dein letzter Lebenssaft entquillt;
Zerbrochen ward Dein Wappenschild,
Um noch im Sterbestöhnen
Dein brechend Aug’ zu höhnen. –– |
Nun ging’s
Mit frischem Muth und leichtem Sinn,
Und hoch an deinem Himmel steht
Der lichte Stern der Medicin;
Ihr willst du dich ergeben
Mit Fleiß und ernstem Streben;
Sie soll dich über Stürme hin
Und Menschenschicksal heben.
Des Menschenleibes Schwächlichkeit,
Das ewig alte Weh und Ach,
Verletzung und Gebrechlichkeit,
Dem allem forscht das Auge nach.
Docirt auch vom Katheder
Dasselbe nicht ein Jeder,
So sucht man eben selbst die Sach
Mit Messer und mit Feder.
Da
sproßt denn auch die Fröhlichkeit
Zur allerhöchsten Blüthe.
Das Herz ist kühn, die Brust ist weit,
Das stolze Auge glühte.
Weh jedem, der
Ihm wird gehörig eingeheitzt;
Auf seiner Wange schmerzen
Auf Brüder! Auf! die Ehre ruft.
Vertheidigt eure
Die Schläger sausen durch die Luft
Wol auf die alten Narben. |
Und als vorüber die Mensur,
Schallt
Es klingen die Pokale
Im lichterhellten Saale. ––
Mit s/S/iebenmeilenstiefeln trabt
Am Horizont, sieh da, sieh da!
Schon steigen auf und walten
Der nahenden Examina
Gespenstische Gestalten.
Da zogst du aus voll Muth und Kraft,
Gepanzert durch die Wissenschaft,
Mit chapeau claque (frz.) Klappzylinder. und Degen
Vertrauend auf des Wissens Hort
Trittst frank du in die Schranken
Und fochtest kühn mit klugem Wort
Für Thesen und Gedanken.
Und als zu End’ des Kampfes Wuth,
Da krönte Dich ein
Da führten seine Sterne
Den Sieger in die Ferne. –– |
Die Kaiserstadt, das lust’ge
Mit seinem schönen
Es ward, eh’
Des
Dich auf in seinen Mauern;
Sein lebensfrohes Herze schwoll
Noch nicht von Todesschauern.
Und ungestört in Deiner Ruh’,
Zumeist in den Spitälern,
Erforschtest und studirtest du
Den Mensch mit seinen Fehlern.
Dann zog’s Dich weiter
Entlang dem Donaustrome;
Bald strahlte Dir der Kuppelglanz
Von
Die schöne Stadt verfallen,
Spricht nun der Türke sein Gebet
Durch die geweihten Hallen.
Constantinopel, wie bewegt
Sahst du die Zeiten schwinden!
Wer hat den Grundstein Dir gelegt?
Wer will die Namen künden? –
Den Jammer und den Klageton,
Der einst erscholl in
Wie oft hat ihn beklommen
Seither Dein Ohr vernommen! |
Du wohntest, Vater, im Quartier
Der vielverhaßten
Da trat einmal
Versunken in Gedanken.
Der sprach: „Die Jugendzeit ist schön.
Verlangen Sie die Welt zu sehn,
So können ohne Weilen
Sie unsre Reise theilen.
„Es führet nämlich uns der Plan
De r/s/
Du sprachst: „Wolan, mein Genius
Ermahnt mich, einzuschlagen;
Und Ihrem Freund, dem Sultanus,
Dem mögen Sie das sagen!“. ––
Den Pact schrieb man mit einem
Und legt’ ihn dem Beherrscher vor;
Der stieg zur Toilette
Soeben aus dem Bette.
In Schlafrock und Pantoffeln fand
Der Sultan es nicht übel
Und langte mit der ganzen Hand
In einen Tintenkübel, |
Drückt sie dann aufs Papier recht breit,
Nun wurde Goldsand drauf gestreut.
Die Hand wusch ihm dann eine
Der Dienerinnen reine. ––
Hin durchs Gebirg, durch Flur und Hain,
Vom Morgengraun im hellsten Sonnenschein
Bis
Zog eine Carawane durch das Land;
Und wo sich irgend wo ein Bergwerk fand,
Da ward besichtigt, inspiciert,
Ob alles auch im Sinn des Sultans gehe,
Bis daß das Ziel die Carawane weiter führt,
Daß sie wo anders nach demselben sähe.
Den ganzen Tag, von Morgen bis zur Nacht,
Ward fortgeritten und kein Halt gemacht.
Doch wenn der milde Abend kam heran,
Da schickt man einen
In’s nächste Städtchen stracks zum Bürgermeister;
Der fragt: „Des Ortes reichster Herr, wie heißt er?
Er muß sofort mit Weib und Kind,
Mit seinem ganzen
Sein Haus verlassen. Nur er selbst bleibt drin,
Um gastlich zu bewirthen unsre Leute,
Bis daß wir aus dem Städtchen ziehn
Durch Wald und Steppen in die Weite. –
Von Widerrede nichts! Er muß sich fügen.
Der Sultan will’s. Das soll dem Herrn genügen!“
So ging’s
Durch ganz Kleinasien hin und her,
Wo
Und wo
Manch’ schöner Stein und
Von der dahingeschwund’nen Heidenzeit;
Und aus dem Schutt gefallner Tempel steigen
Die Schattengeister alter Herrlichkeit.
Wo ehedem das stolze
Und wo man, um den Himmel zu erstürmen,
Ohn’ Unterlaß durch manches Jahr
Ließ
Bis man den Wolken nahe war.
Weh, da verwirrten sich die Sprachen,
Daß keiner mehr des andern Wort verstand;
Umsonst, daß sie die Köpfe sich zerbrachen;
Der Geist war stumm, unthätig blieb die Hand. ––
So ist es allen noch ergangen,
Sei’s Philosoph,
Die ihrer eignen Kraft zu viel vertraut
Und sich des Himmelstürmens unterfangen:
Die große Sphinx will nicht enträthselt sein. ––
Der Euphrat und der Tigris schließen
Das schöne Land von beiden Seiten ein,
Und ihre majestät’schen Wogen fließen
In stolzer, ewig gleicher Ruh
Dem fernen Golf an Persiens Küsten zu. |
Einst hörten sie, in längstvergangnen Tagen
Den tiefen Jammer und die
Gefang’ner Kinder Israel.
Sie sangen trauernd ihre Leiden,
Die Harfen hängend an die Trauerweiden,
Bis daß der Herr
Nachdem gebüßt die aufgehäuften Sünden,
Die Stunde der Erlösung ließ verkünden. ––
Auch, Vater, du, zogst aus dem schönen Land,
Wo Alexander einst
Und
An Seltenheiten reich und Schätzen,
Die sonderlich des Forschers Aug’ ergötzen,
Warst du gesund auf deinem
Nach Constantinopel kaum zurückgekehrt,
So traf s/d/ich dort der Zorn des Muhamet:
Wohl jedem, dem in schweren Stunden
Ein reicher Geist das Herz erhebt,
Und über Schmerzen, über Wunden
Erhabene Gedanken webt.
Der einsam Kranke muß verzagen,
Wenn ihn nicht inn’re Stärke hält,
Wenn ihn nicht Geistesschwingen tragen
In eine schmerzenlose Welt.
So träumt er unter Qual und Leiden
Von hohem, längstersehntem Glück,
Indeß die finstern Mächte scheiden,
Und die Gesundheit kehrt zurück. ––
Ein schnelles Schiff mit günst’gem Wind
Trug dich entlang an
Wo Städte dich und Inseln grüßten,
Vertraut, wie Jugendfreunde sind.
Hier hatte ja dein Geist gewandelt,
Als er im Dienst der Schule war;
Und was er fleißig sich erhandelt,
Nun wird es erst lebendig klar:
Hier lebten Perser, lebten Griechen,
Der Römerherrschaft Glanz und Ruhm,
Das Christenvolk mit seinen Flüchen
Aufs alte schöne Heidenthum.
Und wie die Tage schnell enteilen,
So liegt die schönste Perle nah, |
Dort glänzt mit den gebroch’nen Säulen
Empor, empor zur lichten Höhe,
Zur herrlichen
Daß ich die heil’gen Trümmer sehe! –
O Wonneblick voll Bitterniß!
Ihr Leichensteine ew’ger Geister,
Zu stummer Trauer nun verdammt,
Warum zerschlug
Die stolze Pracht, der ihr entstammt?
Warum, warum seid ihr gefallen
Von teuflischer Barbarenhand,
Ihr Menschenbilder, Säulenhallen,
Darin
Noch lacht euch ja der gleiche Himmel,
Noch glänzet euch das gleiche Meer.
Der Schiffe liebliches Gewimmel,
Noch spielt es um die Küsten her.
Noch hegt das Menschenherz das gleiche
Verlangen nach Erhabenheit. –
Warum verlor es jene reiche
Unwiederbringlich gold’ne Zeit?
Wie würde sie die Welt jetzt trösten,
Die Welt, die so gelähmt und krank, |
Die die Propheten nicht erlösten
Durch Dogmentrug und
Du große Gottheit, Gott des Schönen,
Verlaß mich nicht, ich bin dir treu.
Laß mir dein Zauberlied ertönen,
Wie auch die Welt gealtert sei!
Laß mich im wüsten Weltgewimmel
Nicht stürzen von der lichten Höh!
Thu auf dich, blauer Griechenhimmel,
Daß ich dein strahlend Auge seh’! ––
So scholl aus Deinem Herz vereinet,
Was still darin geborgen war.
Sieh da! Vor Deinem Blick erscheinet
Ein Jüngling schön und wunderbar.
Wie? Ist es Wahrheit, ist es Lüge? –
Du fragst, und seine Lippe spricht!
Erkennst Du diese reinen Züge?
Kennst Du den Götterboten nicht?
Blickst so freundlich forschend hernieder, Hermes,
Schöner Gott; bin ich des bewegten Auges
Sehnsucht? – Mir dem Sterblichen bringst Du Botschaft
Hoch vom Olymp her? – |
Manches Liebeswörtchen hat unter Göttern
Deines Fußes Fittig dahingetragen.
Gerne sahn dich alle. – Wardst darum, Hermes,
Schön wie der Tag du? –
Herrlich ging das Weib
Aber Deiner Schönheit erhabne Züge
Trägt es nicht. – Was haben die ewgen Götter
Mir zu verkünden? –
„Ew’ge Jugend aus des Olympos Höhen
Sollte dir,
Als Geschenk unsterblicher Griechengötter
Goldene Jugend.
„Aber Deines Geistes gewalt’ge Schwingen
Leih’n Dir höh’res Gut: Statt in leichtem Tändeln
Wirst im Kampf und Sieg über Jahre stets du
Stark Dich erhalten.
„Bunt mit Blumen schmückt sich die munt’re Jugend.
Aber wer als Mann sich die Welt erobert,
Dem kränzt Hermes preisend mit ewig grünem
In
Hielt Deinen raschen Wanderflug zurück.
Da schlug die lange Weile die scharfen Zähne
Tief in das angefesselte Lebensglück.
Heiß war der Tag in jenen kahlen Räumen,
Ganz angethan zum Schlafen und zum Träumen.
Allein die Nächte waren erquickend frisch;
Da saß’st du dann, dein Sattel war dir Tisch,
Und schriebest Briefe an die fernen Lieben,
An Freunde und Verwandte Brief um Brief,
Bis daß der Hahn die Morgenstunde rief,
Und andere Leute sich die Augen rieben.
Wie jauchztest du, als wieder freie Luft
Auf schwankem Schiffe kühlend Dich umwehte,
Als drauf, erwacht im Strahl der Morgenröthe
Ehrwürdgen Alters ist die Stadt und prächtig
Mit Kirchen und Capellen wol beschert,
Und über alles hebt sich drohend mächtig
Des Ätnas himmelhoher Feuerheerd.
Und Herrn und Damen schwingen sich zu Roß,
Und auf zum Krater klimmt der ganze Troß,
Das Aug’ am Wunder der Natur zu weiden.
Im Rücken raucht der finstre Höllenschlund,
Doch vor Dir liegt Sicilien ausgebreitet, |
Glänzt Meer und Land so sonnig warm, so bunt,
Und hoch sich drüber her der Äther weitet.
Und wie Dein Aug’ jetzt durch die Ferne schweift,
Unstet umher, in freudigem Erwarten,
So hast gar bald Du hoch zu Roß durchstreift
Den ganzen reichen Paradiesesgarten.
Die Monde fliehn. Mit Klang und Jubelschall
Im Schellenkleide naht Prinz
Da faßt der Dämon der Verneinung
Das ganze Volk und stellt es auf den Kopf;
Was man nicht ist, bringt jeder zur Erscheinung,
Vernunft und Thorheit sind der gleichen Meinung
Und alles tanzt um seinen eignen Zopf.
Der Geist der Ausgelassenheit
Wälzt sich bacchantisch durch die bunten Mengen,
Und unter Pracht und jubelnden Gesängen
Rast schnell vorbei die wilde Zeit. ––
Ein junger Türke, heißt’s, sei auch dabei gewesen,
Das goldgestickte Fez im Lockenhaar,
In silberschwerem Kleid. – Doch wer der Türke war,
Steht leider nicht in diesem Buch zu lesen.
Wie bald starbst du dahin, Du leichtes Ding,
Du Carneval, Du schillernder Schmetterling.
Es blüht der Lust kein dauerndes Verweilen,
Und ihren Grabstein schmücken diese Zeilen: |
Wärmender Wonne wiegende Welle
Weilt nicht gewärtig der wohligen Ruh.
Fern den Gestaden in wogender Schnelle
Wallt sie den tosenden Tiefen zu,
Stürzt über Felsen mit jauchzendem Jagen
Jählings hinab in den schäumenden Schlund:
Glizernde Perlen, in Lüften getragen,
Geben ihr seliges Sterben uns kund. ––
Über
Gekrönt von des Vesuves rauchendem Kegel,
Trägt Dich das schnelle Schiff mit blinkendem Segel.
Und Deines Wagens vielverzögerte Flucht
Führt dich durch der Campagna dunstige Haide
In schnellem Trab. Da schwillt Dein Herz vor Freude
Denn vor dir steigt empor mit dem
Das ewige
Die Stadt die
Die zweimal Fesseln schlug um alle Lande,
Einst durch des Schwertes
Jetzt durch des Geistes fester geschlung’nen Bann;
Die Stadt die selber zweimal zu stolzer Pracht,
Gleich wie der Phönix aus den Flammen,
Aus Brand und Schutt und Trümmern ist erwacht
Und zwei Jahrtausende hält in sich zusammen.
Doch hängt Dein Blick nicht einzig an den Trümmern
Aus glänzender Cäsarenzeit, |
Die düster jetzt im Abendgolde schimmern,
Obwohl sie blinkend einst das Aug’ erfreut.
Die stolzen Bauten sind gebrochen,
Den lichten Tempeln hoch und hehr
Hat man die Augen ausgestochen:
Sie hegen keine Götter mehr.
Allein das Göttliche stirbt nie;
Aus Plünderung und Feuersbrünsten
Hebt sich unsterblich Poesie,
Hebt sich der Geist in edlen Künsten.
Und eine neue Ära bricht heran
Im späten Morgenroth in ros’ger Ferne:
Die Sonne zieht verjüngt die hohe Bahn
Und durch das Dunkel blinken neue Sterne.
Und Kirchen und Paläste füllen sich
Mit Lieblichkeit und Pracht durch neue Meister,
Und über alles hebt sich königlich
Der weite Dom, der Glaubenshort der Geister.
Da malt ein
Des Menschenherzens tiefste Regung,
Und Harmonie schließt jegliche Bewegung
Der Form in ein erquickend süßes Band.
Aus Marmor, ungestalt und stumpf
Hebt
So ward sein
Der Phantasie, zur Krone seiner Werke.
Sind es der Blicke tiefe Feuerflammen? –
Sind es die Linien, die den Körper weben? –
Dein Aug’ sieht furchtsam und mit leisem Beben
Macht, Größe, Herrlichkeit so eng beisammen.
Das sind nicht Formen, die vom Menschen stammen;
Es ist des Höchsten allgewalt’ges Leben,
Das schaffend sich dem todten Stein ergeben,
Im Richten streng und furchtbar im Verdammen.
Und ewig waltet in Bestehn und Werden
Sein eisernes Gesetz mit Lohn und Strafen.
Weh solchen, die des Himmels Blitze trafen!
Sie sehn erwacht mit teuflischen Gebärden
Die Furien, die im stillsten Frevel schlafen,
Und athmen keinen Frieden mehr auf Erden. ––
Der schöne Frühling kam heran. Da ließ
Dein Wandertrieb dich länger nicht im Süden.
Der nächste Winter fand dich
Noch immer von der Heimat weit geschieden. |
Und was in der Türkei, in Griechenland,
Und in Italien Interessantes Du gefunden,
Das wurde nun in fleißigen Mußestunden
Erforscht, ergründet und erkannt.
Da saßest du geschäftig in den Sälen
Der
Die Herrscher, die Jahrhunderte zu zählen,
Darunter einst
Doch auch die vielen Wunderdinge der Kunst,
Die in Paris in den Museen,
In Galerien und Palästen sind zu sehen,
Erwarben bald sich deine Gunst.
Wer kennt es nicht, das unvergleichliche
Das armberaubt auf Melos man gefunden!
Wer kennt nicht diesen marmorkalten Leib,
Dem dennoch sich das wärmste Leben verbunden!
Wer kennt Frau Venus nicht, die schon im Alterthum
So manches stolze Männerherz berückt,
Und die im Mittelalter noch die Blume
Der deutschen Ritterschaft beglückt! –
Mir seine ganze Liebesgeschichte an
Und sang zum Saitenspiele seiner Laute
Damals trug sie den Schleier um die Lenden,
In griechischem Knoten trug sie ihr reiches Haar,
Und wußte sich nicht d/z/u drehen, nicht zu wenden,
O Du liebes, schönes Frauenbild,
Tändelnd Dir um Brust und Wangen schwingen
Amoretten sich, gewaffnet, wild. –
Vor den Kleinen wahret dich kein Schild;
Ihre giftgetränkten Pfeile siegen,
Endlich muß der Stärkste unterliegen. ––
Doch fort vom süßen Minnespiele,
Von leichter Liebeständelei! –
Den Mann begeistern andre Ziele:
So ist denn doch die Zeit gekommen,
Da sich der deutsche Geist erhebt,
Und da die alte Gluth entglommen,
Die längst in a/A/ller Adern lebt.
Nun redet offen, ihr Gewissen!
Nun wall empor Du starke Fluth! ––
Die engen Bande sind zerrissen,
In denen ihr so lang geruht.
In Wort und blutgen Kämpfen streben
Die Völker nach entbehrtem Glück.
Die Throne zittern und erbeben,
Die Söldner weichen scheu zurück. |
Die alte Größe will man wieder,
Die einst so stolz das Volk umwand;
Für freigeborne, deutsche Brüder
Ein ein’ges, freies Vaterland.
Nicht mehr in
Die leidige Zersplitterung,
Und sechs und dreißig Potentaten
Anbeten in Erniedrigung. –
Es will das Volk sich selbst regiren,
Und die, so es dazu ernannt,
Sie sollen die Gesetze führen
Drum werden Männer ausgesendet,
Soweit die deutsche Sprache klingt,
Daß das Erlösungswerk, vollendet,
Den Völkern Glück und Friede bringt.
Am Main, dem stolzen deutschen Strome,
Da steht die
Da traten in
Zusammen sie zu Rath und That.
Da klingen würd’ger Männer Namen,
In allen Gauen hochverehrt.
Aus Süden wie aus Norden kamen
Sie zu der Freiheit Feuerherd. |
Das Herz erfüllt von reiner Gluth
Dem heil’gen Kampfe dich zu weihen
Für Menschenrecht und höchstes Gut.
Und dieses Gut, das jedem theuer,
Das jedem in der Seele brennt,
Ver tei/fo/chtest du mit heil’gem Feuer
Doch wenn verrauscht , des Kampfes Wogen,
Von Ort zu Ort, von Stadt zu Städtchen
Fuhrt ihr in lustgem Zuge hin,
Da kamen Frauen, kamen Mädchen,
Voran
Sie haben ihre Freiheitsboten
Ins traute Städtchen eingeführt
Und ihnen Speis und Trank geboten.
Drauf ward gejubelt, banquettirt. –
Der Morgen führt die Freunde
weiter,
Und über Be g/r/g und Thal umher
„O könnt’ ich ewig bei Dir weilen,
Du blonde Maid am blauen Rhein!
So aber müssen diese Zeilen
Dir einzig Angedenken sein.
„Und was uns beide stolz belebet,
Die hohe Gluth fürs Vaterland,
Ihr bleibe treu, die dich umschwebet,
In der sich Herz zum Herzen fand.“ –
Ein letzter Blick. Da rollt der
Wagen,
Es wehen Tücher hier und dort.
Im Morgenwind hinaus getragen,
Verhallt das letzte Abschiedswort. ––
Da
Wie schaarten sich des Vaterlandes Sonnen
Zum Strahlenkranz im ersten Parlament!
Die Furcht entfloh, Muth und Betheurung blieben,
Nicht ferner mehr zu beugen das Genick. –
Wie herrlich schoß empor in jungen Trieben
Der starke Keim der deutschen Republik!
Doch als nunmehr vom Kampfe der
Gedanken
Des stolzen Domes Wölbung wiederklang, |
Als Aller Herzensgluth in heil’gen Schranken
Nach des Gesetzes weiser Fassung rang,
Da fiel ergrimmter Feinde kaltes Wüthen,
Fiel nah und fern der Freunde Mißgeschick,
Wie Reif im Frühling, auf die ersten Blüthen
Am Lebensbaum der deutschen Republik. –
Und als ein volles Jahr
dahingegangen,
Da sank die letzte Hoffnung in den Sand:
Das Volk erdrückt, verzagt in Angst und Bangen!
Und all’ die Besten aus dem Vaterland,
Sie legten trauernd im erwachten Lenze
Den welken Traum, mit thränenvollem Blick,
Und der Verbannung düstre Dornenkränze
Auf’s junge Grab der Deutschen Republik. ––
Nächtlich durch die stillen
Fluthen
Zieht ein Dunkles Schiff daher.
Spiegelnd der Gestirne Gluthen
Sprüht und glüht das weite Meer.
Während Wind und Wellen schliefen,
Lehnt ein Mann sich über Bord; |
Mit dem Murmeln in den Tiefen
Tauscht er sinnend Wort um Wort.
„Geister, euer leises Künden
Trifft in Räthseln nur mein Ohr. –
Werde je ich wiederfinden,
Was ich, ach, so früh verlor?
„Finsterniß ließ ich im Rücken;
Und entflohn der düstern Zeit,
Dehnt sich neu vor meinen Blicken
Ungewisse Dunkelheit.“ –
Aus den Tiefen murmelnd rauschet
Auf und nieder süßer Klang;
Und der müde Pilger lauschet
Und vernimmt den Geistersang:
„Hast die Heimat auch verloren,
Zittre nicht, du starker Held!
Aus den Stürmen neugeboren,
Nimmt dich auf die neue Welt.
„Neue Freuden, neue Leiden
Bringt die künft’ge Zeit daher.
Und dereinst wird auch das Scheiden
Von der neuen Welt dir schwer.
„Doch Du siehst die Heimat wieder,
Und der herbe Schmerz entwich;
Und die alten Kampfesbrüder
Segnen und umarmen Dich.“ –– |
In leichtem Kahne geht die lust’ge
Fahrt
Den Fluß hinauf
Zwei Neger, unbekleidet und krausbehaart,
Bewegen Das Ruderpaar in gleichem Schlage.
Auf beiden Ufern niedere Dörfer stehn,
Und Indianermädchen, schlank und schön,
Ruhn unten am Fluß, die bunten Gewänder zu waschen.
Allein sobald die Kähne sie überraschen,
Fliehn sie leichtfüßig hinauf mit ängstlichen Schritten
Und bergen sich in den traulichen Bambushütten. ––
Zu Land und wieder in Kähnen
gelangtet ihr dann
Nach langer Fahrt an den stillen Ocean,
Worauf ein starkes Schiff in schnellem Flug
Dich durch
In’s glückverheißende Californien trug,
Das manchem schon vergoldete Hoffnung weckte.
Dort in der neuen Heimat fing
Für dich ein neues Dasein an.
In Fleiß und steter Arbeit ging
Das Leben langsam seine Bahn.
Da ward gar manchen Trost und
Heil,
In kluger Menschenfreundlichkeit,
Durch deine sich’re Kunst zu Theil,
Die gern zum Helfen stets bereit. |
Zu retten, schwangst du dich zu Pferd,
Hieltst
In starker Faust das blanke Schwert.
Am Abend wurden sie gebracht,
Die Geisterstunde sprach Gericht.
Und als der junge Tag erwacht,
Da hingen sie im Morgenlicht. –
Drauf wieder froh und ungetrübt,
Gemessen Jahr um Jahr verstrich.
Geehrt von Allen und geliebt,
Belasten stolze Würden Dich.
Am
Die Muse dir ein rauschend
Das hell in tausend Stimmen klang
Und tausend Herzen wild durchglüht.
Es glüht das Herz, es schallt das
Lied
Wol durch der Freunde traute Reih’n,
Und in des Dichters Seele zieht
Ein niegeahntes Sehnen ein.
Und mächtig, mächtig schwillt sein
Herz,
Umsonst sucht es das Losungswort.
Das Aug’ blickt fragend himmelwärts
Und findet keine Tröstung dort.
Da flammt es auf in wilder Pracht,
Da plötzlich wird ihm sonnenklar,
Daß es der Liebe Zaubermacht,
Daß es der Liebe Leiden war.
So sank der Flor, da sprach der
Mund;
Da war
Da ward ein fester Seelenbund
Geschlossen für die Ewigkeit. |
Und wurden später dir auch zu
theil
Im Glück noch leidige Schmerzen,
So wünschen heute dir Freud und Heil
Sechs frohe Kinderherzen.
Und beten, daß sie noch manches
Jahr
Dies schöne Fest erleben,
Und daß der Friede mög’ immerdar
Ob deinem Haupte schweben.
Und daß am Himmel, ob deinem Haupt
Des Glückes Sonne glänze;
Daß Dich, mit heiterem Grün belaubt,
Noch mancher Frühling kränze.
Uns aber laßt streben im Verein,
Getreu Ge und ohne Wanken,
Und laßt uns wallen durch die Welt
Am starken Wanderstabe
Der Freiheit, den er uns gesellt
Als höchste Gottesgabe.
Mit freiem, unbefangnem Sinn
Geweiht dem Großen, Hohen,
So gingst du durch die Jahre hin;
Die Dir vorüberflohen.
Vorüber flohen siebzig Jahr
In Freud’ und redlichem Ringen.
So laß dir, Vater, Du Jubilar,
Durch Deiner Kinder beglückte Schaar
Ein dreifaches Vivat! bringen! –– |
Bestehend aus 24 Blatt, davon 44 Seiten beschrieben
Der 20.2.1886 ist als Ankerdatum gesetzt – das späteste mögliche Datum der Fertigstellung des Briefgedichts, das am Nachmittag des 21.2.1886 in Lenzburg eintraf [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 25.2.1886]. Als Schreibort darf der Wohnort Wedekinds gelten.
Das nach Lenzburg geschickte Briefgedicht dürfte an Armin Wedekind adressiert gewesen sein, der angekündigt hatte, es vortragen und überreichen zu wollen [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 12.2.1886].
München
20. Februar 1886 (Samstag)
Ermittelt (unsicher)
München
Datum unbekannt
Datum unbekannt
Aargauer Kantonsbibliothek
Aargauerplatz
5001 Aarau
Schweiz
Wir danken der Aargauer Kantonsbibliothek für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.
Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 20.2.1886. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (13.11.2025).
Tilman Fischer