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Herrn
Dr. Wedekind auf Schloss Lenzburg
in Hochachtung und Ehrerbietung
sein Sohn
Für den Anzug und die Stiefel bitte ich Dich, meinen Dank hinzunehmen. Ich brauchte beides sehr nothwendig; aber die Mittel fehlten mir, um es mir selber anzuschaffen. Dein Mitleid giebt mir den Muth, Dir das zu schreiben, Dir überhaupt zu schreiben. Ob dieser Schluß nicht dennoch voreilig ist, kann ich nicht wissen. Trotzdem will ich es wagen. Wenn Du mir diese Zeilen zurückschickst, so werde ich dein Geschenk als ein Almosen hinnehmen müssen und habe dabei nicht das Recht, mich über irgend etwas zu beklagen.
Seit drei Tagen denke üb/ich/ über diesen Brief nach.
Ich darf Dich nicht Vater nennen; ich habe jeden | Anspruch darauf verloren.
Ich hätte auch niemals gehofft, daß du mir verzeihen würdest. Solltest Du es
nun trotz allem thun, so glaube mir, daß ich Deine unendliche Güte heilig zu
halten weiß.
Bevor ich mir Deine theure Verzeihung erbitte, sollte ich
etwas zu meiner Entschuldigung anführen. Aber was kann mich entschuldigen? –
Das einzige wäre der Umstand, daß sich meine Aufregung S/s/elbst
nicht mehr mächtig war. Ich ersuche Dich inständig,
Und nun laß mich bitten, daß Du mir verzeihen mögest, daß Du Dir Mühe geben mögest meiner greulichen Unthat nicht mehr zu gedenken. Es ist eine übermenschliche Wohlthat, die Du mir dadurch erweisen würdest und ich bin der Unwürdigste, sie zu empfangen. Ich habe Dir nichts dafür als geringstes Entgelt zu bieten. Es wäre nichts als reine, große Güte von Dir. Ich verdiene sie nicht. Ich habe alle Aussicht darauf verscherzt. Ich kann | nur bitten, Dich flehentlich darum bitten. Wenn Du mich abweist so darf ich nicht murren, und wenn Du mich aufnimmst, so werd ich das Bewußtsein meiner Schuld noch furchtbarer empfinden, als es bis jetzt der Fall war. Ich habe mich in einer Weise vergangen, die mich Dir gegenüber zum allerelendesten Menschen macht.
Ich habe im verflossenen Jahr Zeit genug zur Reue gehabt und
werde noch mein ganzes Leben Zeit dazu haben. Vielleicht würde es Dir leichter,
mir zu vergeben, wenn Du wüßtest, was ich letzten Herbst und diesen Sommer
darunter gelitten habe n. Möglich auch, daß ich mich indessen zum guten
geändert habe. Ich weiß es nicht aber ich hoffe es. Wenn Du auch das in
Betracht ziehen wolltest, würde es vielleicht Deine Güte vor Dir selber
rechtfertigen helfen.
Wenn Du mir verzeihen willst, so bitte ich Dich noch darum,
Dich in nächster Zeit hier oder in Z/z/ufrieden
sein.
Und nun noch einmal, bitte, verzeih mir. Ich wußte nicht was
ich that; ich war verblendet, verwirrt und aufs äußerste aufgeregt. Wenn du
mich von Dir stößt, so hab’ ich nichts mehr zu verlieren. Von Jahr zu Jahr
würd’ ich schwerer daran tragen. Mein ganzes Leben wäre in scheußlichster Weise
besudelt und verflucht. Nimm im Voraus meinen innigsten herzlichsten Dank dafür
hin und verzeih Deinem in Ergebenheit und Ehrfurcht harrenden Sohn
Franklin.
[Kuvert:]
Herrn Dr. Wedekind.
Schloss
Lenzburg.
Bestehend aus 3 Blatt, davon 5 Seiten beschrieben
Uhrzeit im Zwischenstempel Neumünster: „8“ (= 20 Uhr). Uhrzeit im Posteingangsstempel Lenzburg: „VII“ (= 7 Uhr).
Zürich
19. September 1887 (Montag)
Sicher
Hottingen
19. September 1887 (Montag)
Sicher
20. September 1887 (Dienstag)
Sicher
(Band 1)
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia
Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13
Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.
Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 19.9.1887. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (25.10.2025).
Tilman Fischer