Kennung: 1371

Tokio, 7. März 1913 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Nogami, Toyoichiro

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Tokio, März 7, 1913


Sehr verehrter Herr!

Vorerst muss ichDr. phil. Toyoichiro Nogami, Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Übersetzer, der englische (und europäische) Literatur sowie das japanische Nō-Theater an der Kaiserlichen Universität von Tokio studiert hatte [vgl. The Japan Biographical Encyclopedia & Who’s Who. Tokio 1961, S. 1078]; seit 1906 mit der Schriftstellerin Yaeko Nogami (geb. Kotegawa Yae) verheiratet, seit 1908 Dozent an der privaten Hōsei Universität in Tokio. um Ihre gütigste Entschuldigung bitten, weil ich ohne gehörigen Empfehlungsbrief von Ihren Bekannten an Sie schreibe. Sie können sich wohl vorstellen die Schwierigkeit womit man hier einen solchen bekommen kann. Mein Versuch bei hiesiger deutschen Botschaft ist auch vergeblich geblieben.

Das einzige Ziel meines Briefes ist um Ihre gütigste Bewilligung zu bitten, dass ich Ihre wertvolles Werk „Frühlings Erwachenin unsre Muttersprache übersetzenToyoichiro Nogami hatte bereits mit der japanischen Übersetzung von Wedekind Tragödie „Frühlings Erwachen“ („Haru no mezame“) begonnen und einen Teil bereits im Juli 1912 in der japanischen Literaturzeitschrift „Mozaiku“ publiziert. Die von Wedekind autorisierte Übersetzung erschien im Sommer 1913 als Vorabdruck in Tokio in der auflagenstarken Tageszeitung „Yomiuri“, die Buchausgabe kam 1914 im Verlag der Buchhandlung Higashi in Tokio heraus. Artur Kutscher schrieb: „1913 ist ‚Frühlingserwachen‘ auch ins Japanische übertragen von Dr. Toyo Ichiro Nogami und mit Erklärungen, einigen Bildern und einem biographischen Nachworte gedruckt worden.“ [Kutscher 1, S. 256] darf. Vor einigen | Jahre, als ich noch in hiesiger kaiserlichen Universität studierte, bin ich zum ersten Male mit diesem Werke bekannt geworden, zwar durch eine englische ÜbersetzungFrancis Joseph Zieglers Übersetzung von „Frühlings Erwachen“ ins Englische erschien unter dem Titel „The Awakening of Spring. A Tragedy of Childhood“ (1909) im Verlag Brown Brothers in Philadelphia (Pennsylvania/USA). von Herr F. L. Ziegler. Erst neulich ist es mir gelungen das Original (Verlag G. Müller)Wedekinds Werke erschienen seit 1910 im Georg Müller Verlag in München. „Frühlings Erwachen“ (1891) wurde dort zuerst in Band 2 der „Gesammelten Werke“ (1912) Wedekinds nachgedruckt, die erst im neuen Jahr als erschienen angezeigt waren [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 80, Nr. 50, 3.3.1913, S. 2347]; diese Fassung der Kindertragödie im Georg Müller Verlag „greift auf die Fassung von 1903 zurück“ [KSA 2, 776], die als 3. Auflage im Albert Langen Verlag erschienen war (die 2. Auflage war 1894 bei Caesar Schmidt in Zürich erschienen, die 1. Auflage bei Jean Groß in Zürich). kennen zu lernen. Dabei ist der Wunsch in mir rege geworden dieses schöne Werk in Japanisch zu übersetzen. Unter Ihren Schriften sind schon „Der KammersängerEine japanische Übersetzung von Wedekinds Einakter „Der Kammersänger“ (1899) durch Mori Rintaro ist im Januar 1908 in der Theaterzeitschrift „Kabuki“ erschienen.“ und einige kurzen ErzählungenFrancis J. Zieglers Übersetzung von Wedekinds Erzählungen „Rabbi Esra“ (1897) und „Das Opferlamm“ (1897) ins Englische erschien unter dem Titel „Rabbi Esra. The Victim. Two Stories“ (1911) bei Brown Brothers in Philadelphia (Pennsylvania/USA). in unsrer literarischen Welt ziemlich bekannt, zwar meistens durch die englische Übersetzung. In einer höheren Lehranstaltdie Waseda-Universität in Tokio [vgl. Toyoichiro Nogami an Wedekind, 6.6.1913]. in Tokio liest man über Ihren „So ist das Leben“ vor. Einer meiner Freundeder Germanist Mitsunobu Yamagishi [vgl. Toyoichiro Nogami an Wedekind, 6.6.1913]. bringt | gegenwärtig vor seinem Katheder einem Kommentar über die im Rede stehende Tragödie. Mein innigster Wunsch ist es unser literarisches Publikum mit dieser schönster Kindertragödie bekannt zu machen. Was mich anbetrifft, möchte ich Ihnen ergebenst mitteilen, dass ich bis jetzt einige Romanenicht ermittelt. geschrieben, und dazu noch einige europäischen Schriften übersetztToyoichiro Nogami hat unter anderem Werke von William Shakespeare, Jane Austen, George Bernard Shaw und Jonathan Swift ins Japanische übersetzt, sich aber auch mit deutscher und französischer Literatur beschäftigt.. Ich muss aber gestehen das ich noch niemals eine solche Begeisterung in mir verspürt habe, als ich es unternommen hatte, Ihr „Frühlings Erwachen“ zu übersetzen. Inzwischen furchte ich dass die kleine Buchhandlung die meine Übersetzung gern übernehmen will, Ihnen keine materielle Vergütung anzubieten | im Stande ist. Wenn ich aber mir nur denke, wie viel Freude und Begeisterung das Werk dem kleinen aber denkenden Publikum erbringen würde, fühle ich mich so stark bewogen, dass ich mich endlich beschlassen habe, mich direkt an Sie zu richten und Ihre gütigste Bewilligung zu erbitten.

Das Buche beabsichtige in tunlichst so auszustatten dass es dem höheren Geschmak passt. Wenn Sie auch noch so liebenswürdig sein wollen, mich mit Ihrem Bild und eventuell den Bildern aus der Aufführung dieser Tragödie begünstigen wollen, möchte ich diese reproduzieren lassen und dem Buche einen erhöhten Glanz erteilen. |

Indem ich mich bestens empfehle und auf Ihre wohlwollende Antwort ganz ergebenst warte, verbleibe ich achtungsvoll.

Ihr Dr. Toyoichirô Nogami,
Tokio.

[Kuvert:]


Via(lat.) über. SiberiaSibirien.


An
Herrn Frank Wedekind
Hochwohlgeboren
Berlin W. 62
Kurfürstenstrasse 125
Berlin
Deutschland. |


Absender: Dr. T. Nogami
Tokio, Sugamo
Kami Komagome 334.
Japan.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 5 Blatt, davon 7 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13 x 16 cm. 4 Blatt, 5 Seiten beschrieben. Gelocht. Kuvert. 14 x 8 cm. 2 Seiten beschrieben. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Die Seiten 2 bis 5 des Briefs sind am oberen Blattrand rechts von Schreiberhand nummeriert; auf Seite 5 ist von fremder Hand mit Bleistift notiert: „s. Brf. vom 5. Juli 14.“ Das Kuvert ist auf der Adressseite am linken Rand mit japanischen Schriftzeichen (vermutlich Adressangaben) sowie mit Postzustellvermerken versehen; die deutschsprachige Empfängeradresse in schwarzer Tinte ist von fremder Hand mit blauer Tinte gestrichen und durch „München“ ersetzt sowie durch die Notiz „26/3“ (vermutlich ein Datum) ergänzt. Die Absenderseite enthält um 180 Grad gedreht von anderer fremder Hand den Postzustellvermerk: „München. Prinzregentenstr. 50“, ebenfalls die Notiz „26/3“ sowie davor die Unterschrift des Postzustellers. Das Kuvert ist mit einer um 90 Grad gedreht aufgeklebten Briefmarke von 10 Sen frankiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der Postausgangsstempel Tokio trägt das Datum „2.3.8.“ (= 8.3.1913); die vorstehende „2“ bezeichnet das zweite Jahr der sogenannten Taishō-Zeit, die 1912 mit der Regentschaft von Kaiser Yoshihito begann. Der an Wedekinds frühere Berliner Wohnung adressierte Brief befand sich den Zustellvermerken zufolge am 26.3.1913 in Berlin und wurde von dort nach München weiterverschickt.

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 120
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Toyoichiro Nogami an Frank Wedekind, 7.3.1913. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (11.04.2025).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Mirko Nottscheid

Überarbeitet von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

04.03.2025 14:18