Ihr SchwiegersohnAlbert Langen, seit dem 10.3.1896 mit Dagny Bjørnson, der Tochter Bjørnstjerne Bjørnsons, verheiratet. scheint sich noch immer nicht von dem
Gedanken trennen zu können, dass ich ihm mit dem Ertrag meiner Arbeit die Kosten
bezahlen soll, die ihm aus seinem speculativen SchurkenstreichWedekind war der Auffassung, in der Majestätsbeleidigungsaffäre um den „Simplicissimus“ (im konfiszierten Heft sein inkriminiertes Gedicht „Im heiligen Land“), die ihm Gefängnis und Festungshaft eingebracht hatte (siehe unten), habe Albert Langen „die Konfiszierung im Sinne einer Marketing-Maßnahme bewußt inszeniert, um die Verkaufsauflage des ‚Simplicissimus‘ zu erhöhen“ [KSA 1/II, S. 1711], was er dem Schwiegervater Albert Langens schon früher noch von der Festung Königstein aus zu verstehen gegeben hatte [vgl. Wedekind an Bjørnstjerne Bjørnson, 28.9.1899]. erwachsen,
mit dem er mich um meine StellungWedekind war bis zu seiner Flucht aus München am 30.10.1898 infolge des drohenden Haftbefehls in der Majestätsbeleidigungsaffäre um den „Simplicissimus“ [vgl. KSA 1/II, S. 1710] als Schauspieler [vgl. Wedekind an Beate Heine, 27.7.1898], Dramaturg und Sekretär am Münchner Schauspielhaus (Direktion: Georg Stollberg) engagiert gewesen [vgl. Neuer Theater-Almanach 1899, S. 443]. betrogen und mich auf vier Monate in’s GefängnisWedekind hatte sich am 2.6.1899 in Leipzig den Behörden gestellt, wurde in Untersuchungshaft genommen und saß nach dem Majestätsbeleidigungsprozess in Leipzig am 3.8.1899 in Gefängnishaft [vgl. KSA 1/II, S. 1710] in der „Gefangen-Anstalt Leipzig“ [Leipziger Adreß-Buch für 1899, Teil II, S. 39], bis er am 21.9.1899 als Häftling auf die Festung Königstein überführt wurde (siehe unten). und auf vier
Monate auf die FestungWedekind, der zunächst wegen Majestätsbeleidigung in Leipzig im Gefängnis saß (siehe oben), wurde zu Festungshaft begnadigt und war seit dem 21.9.1899 auf der Festung Königstein inhaftiert, aus der er am 3.2.1900 entlassen wurde [vgl. KSA 1/II, S. 1710]. gebracht hat. Ich würde Sie | mit dieser Angelegenheit
nicht weiter behelligen, wenn mir nicht gesternam 12.3.1900, an dem Wedekind in München Max Halbe getroffen und mit ihm über Bjørnstjerne Bjørnson und dessen Schwiegersohn Albert Langen gesprochen hat. Herr Dr. Max Halbe die Ansicht
ausgesprochen und mir gegenüber vertheidigt hätte, dass Sie von Ihrem Schwiegersohn
Albert Langen pecuniär abhängigWedekind war davon ausgegangen, Bjørnstjerne Bjørnson sei finanziell unabhängig [vgl. Wedekind an Bjørnstjerne Bjørnson, 28.9.1899]. seien und pecuniäre Unterstützungen von ihm
empfiengen. Herr Max Halbe steht mit niemandem in München in lebhafterem Verkehr
als mit Korfiz Holm, dem hiesigen VertreterKorfiz Holm, leitender Redakteur des „Simplicissimus“ und Prokurist des Albert Langen Verlags, der die Verlagsgeschäfte für den infolge der „Simplicissimus“-Affäre im Exil lebenden Verleger Albert Langen führte [vgl. Abret/Keel 1989, S. 12]. Albert Langens. Deshalb gewinnt das
Gerücht, das ich schon vor anderthalb Jahren in | München und vorher schon in
Berlin gehört hatte und dem ich damals nicht den geringsten Glauben beimass, für
mich ungemein an Bedeutung. Als Sie übrigens nach Langens perfider FluchtAlbert Langen, dem wie Wedekind im Zuge der Majestätsbeleidigungsaffäre um den „Simplicissimus“ (siehe oben) als Verleger und Herausgeber Verhaftung drohte, floh noch vor Wedekind in die Schweiz, wobei als „Rechtfertigung dieser Flucht“ Korfiz Holm zufolge „geschäftliche Erwägungen im Vordergrund“ [Abret/Keel 1987, S. 69] standen.
fortfuhren, in der liebenswürdigsten Weise mit ihm zu correspondieren und er mir
Ihre BriefeBjørnstjerne Bjørnsons Briefe an Albert Langen, die Wedekind entweder noch Ende 1898 in Zürich oder Anfang 1899 in Paris zu sehen bekommen hat; veröffentlicht sind nur die Gegenbriefe [vgl. Helga Abret: Unveröffentlichte Briefe von Albert Langen an Björnstjerne Björnson. In: Skandinavistik 13 (1983), Heft 2, S. 123-138]. zeigte, war ich nahe daran, in dem Gerüchte die volle Wahrheit zu
erblicken. Wie das meine Art ist, stellte ich Albert Langen sofort zu rede und
liess mir Ihre Vermögensverhältnisse von ihm aufs genaueste auseinandersetzen.
Dadurch wurde mein Verdacht geh beseitigt. Wenn ich mich jetzt aber hier in München |
über Langen’s speculativen Schurkenstreich beklage, dann muss ich mir von Leuten wie Max Halbe
entgegnen lassen, dass bei Albert Langen an eine derartige Speculation gar
nicht zu denken sei, da Langen mit seinem enormen Reichtum ja auch seinen
Schwiegervater unterstütze. Wie es mit Langens Reichtum bestellt ist weiss
ich; mir persönlich wäre aber der Gedanke, auch für Sie, Herr Bjoernson, im
Gefängnis gesessen zu haben äusserst sympathisch; er würde mir die Erinnerung
an jene Tage wesentlich verklären. Ich werde mir aber dieses Verdienst | auf
keinen Fall beimessen, bevor ich es von Ihnen bestätigt erhalten habe. Dass Sie
mir auf meine an Sie gerichteten Zeilen vom 20. Februarnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Bjørnstjerne Bjørnson, 20.2.1900. nicht geantwortet haben, finde ich begreiflich;
der Brief war auch nicht darauf eingerichtet. Ich rechne aber des bestimmtesten
darauf, auf diese Zeilen hier eine Antwort von Ihnen zu erhalten. Sie haben mir
unaufgefordert Ihren Rat erteiltBjørnsterne Bjørnson hatte den in Albert Langens Wochenschrift „Simplicissimus“ veröffentlichten politischen Gedichten Wedekinds im Sommer 1898 in München die „glühendsten Complimente“ [Wedekind an Beate Heine, 27.7.1898] gemacht und ihm geraten, bei diesen Gedichten zu bleiben [vgl. Wedekind an Bjørnstjerne Bjørnson, 28.9.1899]., bevor ich die Bekanntschaft des Gefängnisses
gemacht hatte, die Ihrem Schwiegersohn glücklich erspart gebliebenAlbert Langen, der im Exil in Paris und Rom lebte, hat im Zuge der Majestätsbeleidigungsaffäre um den „Simplicissimus“ (siehe oben) keine Haftstrafe verbüßt; er kehrte, „nachdem einem Begnadigungsgesuch stattgegeben worden war und er ein ‚Bezeigungsquantum‘ [...] in Höhe von 20.000 Mark gezahlt hatte“ [KSA 1/II, S. 1710], am 8.5.1903 „nach viereinhalb Jahren Exil als freier Mann nach München zurück.“ [Abret/Keel 1989, S. 103] ist; deshalb
darf ich jetzt wol auch um | so mehr darauf rechnen, auf eine höflich gestellte
Frage eine AntwortFritz Strich hat im Erstdruck zum vorliegenden Brief angemerkt (ohne Beleg): „Der Brief wurde Wedekind von Bjoernson ohne weitere Antwort zurückgegeben.“ [GB 2, S. 358] zu erhalten.