Paris
29.III.93.
Lieber
Carl,
ich
habe dir noch für dein BuchKarl Henckells neuer Lyrikband „Aus meinem Liederbuch“ (1892) war inzwischen bei Wedekind eingetroffen, der das Buch im letzten Brief noch erwartet hatte [vgl. Wedekind an Karl Henckell, 9.1.1893]. nicht gedankt, so großen Genuß es mir bereitet. In
Herrn Carl Muth empfehle ich dir einen
verständnißvollen VerehrerWedekind hat dagegen am 3.12.1892 über Carl Muths Verständnis von Karl Henckells Gedichtband „Diorama“ (1890) notiert: „In Henckells Diorama findet er nur diejenigen zwei Gedichte schön, auf die ich ihn zufällig aufmerksam gemacht habe.“ [Tb] Deiner Dichtungen, einen lieben FreundWedekinds Charakterisierung seines Bekannten Carl Muth im Tagebuch, mit dem er lediglich verkehrte, da er nach der Abreise seines Freundes Hans Richard Weinhöppel von Paris Gesellschaft vermisste, spricht dagegen eine andere Sprache [vgl. Hay 1986, S. 224-234, 247f., 252]; so notierte er zum Beispiel am 3.12.1892 über den Antisemiten und dessen Neigung zum Opportunismus: „Er ekelt mich an, daß ich mich versucht fühle ihm den Laufpaß zu geben. [...] Ich sage ihm, ein anständiger Mensch sei kein Antisemit und ein Antisemit kein anständiger Mensch, worauf er seinen Antisemitismus einschränkt, behauptet, es sei eine Gefühlssache, der noch die richtige Bezeichnung fehle, er möchte es Nationalismus nennen.“ [Tb] Oder am 21.12.1892: „Ich gehe nach Hause um zu arbeiten, bald aber stellt sich Herr Muth ein. Nach einigen nichtssagenden Worten beißt er den Chauvinisten heraus und ich ereifre mich ihm gegenüber. Wir schließen mit einem inhaltslosen Zank über die Worte Sinnlich und Geil.“ [Tb] von mir und |
zukünftigen RedacteurCarl Muth war zwar in Paris und Rom bereits Korrespondent für das „Mainzer Journal“ (er schrieb dort unter dem Kürzel „C. M.“) [vgl. Wedekind an Carl Muth, 29.3.1893], er sollte aber nach einem Volontariat 1893 bei der katholischen Zeitung „Germania“ in Berlin 1894 Redakteur der Straßburger Tageszeitung „Der Elsässer“ werden, als solcher dann auch erstmals als Journalist in Neuburg bei Straßburg im Elsass bei Joseph Kürschner verzeichnet [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1995, Teil II, Sp. 863]., der um seinen Beruf um so gewissenhafter erfüllen zu
können, vorher noch einmal die Welt durchwandertWedekind hat am 3.12.1892 über Reisen Carl Muths, der eigentlich Missionar werden wollte, notiert: „Er ist in den Niederlanden, in Spanien in Italien und Africa gewesen, ohne daß ihm was Bemerkenswerthes dabei aufgefallen wäre.“ [Tb]. – Bei Thomars BesuchDer mit Wedekind und Karl Henckell befreundete Züricher Medizinstudent Elias Tomarkin hat Wedekind auf seiner Durchreise nach London am 18.3.1893 in Paris besucht [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 20.3.1893]; er heiratete am 21.3.1893 in London die 25jährige Jeannette Althausen aus Wilna, am 6.4.1893 kam in London der gemeinsame Sohn Percy Henry Bysshe Tomarkin zur Welt [vgl. Rogger/Herren 2021, S. 186]. Elias Tomarkin besuchte Wedekind dann nochmals auf der Rückreise; die Freunde haben sich nachweislich am 28.3.1893 in Paris gesehen [vgl. Wedekind an Carl Muth, 29.3.1893]. habe ich
herzlich bedauert daß du nicht mitgekommen. Mich zieht mein Herz jetzt nach
EnglandWedekind reiste dann Monate später in der Tat nach England, am 23.1.1894 nach London [vgl. Tb], wo er etwa ein halbes Jahr blieb und dann nach Paris zurückkehrte.. – Mit den besten Grüßen dein treuer Fr.W.
BENJ. FRANK WEDEKIND
4, rue Crébillon