Kennung: 32

Lenzburg, 17. August 1889 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Greyerz, Minna von

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

[Zeichnung: Herz in Flammen]


O Satan,

Warum schreibst Du mir nicht;/?/ mich brennen wilde HöllenglutenZitat aus Minna von Greyerz Gedicht „Satanella’s Bitte“ (von Wedekind auf 1889 datiert): „O Satan, Satan laß mich los / Mich brennen wilde Höllengluten“ [Austermühl 1989, S. 407]. –– Du konntest freilich nicht vermuten, daß diese durch Deinen letzten Briefvgl. Wedekind an Minna von Greyerz, 26.7.1889. entfacht wurden! –– Hohnlächle, schilt mich – es ist mir gleich, denn Erbarmen oder gar ein andres Empfinden wird Dich nicht für mich beseelen. | So – weiter habe ich eigentlich nichts zu sagen – nicht wahr, der Vulkanausbruchvgl. dazu das Gedicht „Vesuv“ [Austermühl 1989, S. 398-399] von Minna von Greyerz (datiert auf den 17.1.1889), in dem sie die kurze Liaison mit Wedekind schildert. war kurz oder erschien Dir nicht einmal als Solcher und doch ist es in dieser Art vielleicht der Gewaltigste der mich durchbrauste, als ich vorhin anscheinend ruhig u wollüstig rauchend auf dem Divan lag; allein die Feder ist nicht beweglich genug Dir Näheres, Eingehenderes zu schildern. Solltest Du meinen allzugroßen, viel zu ausführlichen, deßhalb für Dich langweiligen Briefvgl. Minna von Greyerz an Wedekind, 30.7.1889. nicht bekommen haben? Glaube nicht, daß ich Dir in Zukunft, wenn Du mich zu lange warten läßt wieder solchen furiosen Wisch als | Mahnung sende, denn jetzt habe ich mich mir gegenüber selber ausgetobt u bin nun gefaßt: entweder auf Dein gänzliches Schweigen, (oder eine Zurechtweisung –, nein, offen gestanden auf die am allerwenigsten), Deine Gleichgültigkeit, Deine Nachsicht oder eine Satyre. – Satan, Abscheulichster, ich gestehe Dir, weil Du wol kein Gewissen hast, daß ich seit einiger Zeit an einem tollen BabyKosename Frank Wedekinds (auch: Bebi). Im Tagebuch notierte Wedekind: „Brief von Minna, worin sie behauptet an einem Babyfieber zu leiden.“ [Tb, 21.8.1889]-Fieber laborireleide. – Niemand ahnt meine Leiden u wünscheSchreibversehen, statt: u ich wünsche. es auch nicht, daß außer Dir, Du Höllengeselle, etwasSchreibversehen, statt: Höllengeselle, jemand etwas. davon erfahre. Prrrr!

Soeben fiel eine Augen|wimper hernieder. Drei Dinge darf man sich dann wünschen u ich wünschte: 1. Du wärst bereits eine literarische Berühmtheit 2. Du liebtest mich u 3. ich wäre Dein. Gelt ich bin kühn? oder gar absurd, bizarr? Was bist dann aber Du, daß ich mir solche Sprache vor Dir erlaube? O Höllenpein, nicht das zu sein, was man wol möchte! Alle Deine Gedichte, Briefe u sonstgeSchreibversehen, statt: sonstige. Schriftstücke habe ich kürzlich wieder durchgelesen u dazu Deine Cigarretten vom letzten Winter geraucht u geträumt zurück in die teils so goldne Vergangenheit u vor in die noch graue Zukunft. Wenn Du aber denkst ich schicke Dir zum Schluß einen Kuß, so irrst Du Dich. Es grüßt Dich Deine
Satanella WedekindSelbstbezeichnung als Gattin des ‚Satans‘ Frank Wedekind [vgl. dazu Minna von Greyerz an Wedekind, 30.7.1889]; dieses Rollenspiel auch in den bereits genannten Gedichten „Vesuv“ und „Satanella’s Bitte“ [Austermühl 1989, S. 398-399 und S. 407]..


[Kuvert:]


Herrn Frkl. Wedekind
Akademiestrasse 21.III
München.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 5 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Brief: Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11 x 17 cm. Gelocht. Kuvert: Papier. 12 x 9,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Die Seitenränder des Doppelblatts wurden ringsum abgerissen. Auf Seite 1 befindet sich im oberen Drittel die farbige Tuschezeichnung eines brennenden Herzens. Von Wedekind wurde mit Bleistift am Ende der vierten Zeile das Datum: „17.8.1889“ notiert. Das Kuvert ist mit einer Briefmarke zu 25 Rappen frankiert; die Rückseite ist mit Siegellack verschlossen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 17.8.1889 ist als Ankerdatum gesetzt – das Datum des Postausgangsstempels darf als Schreibdatum gelten.

Uhrzeit im Postausgangsstempel Lenzburg: „4“ (= 16 Uhr). Uhrzeit im Zwischenstempel Zürich: „9“ (= 21 Uhr). Uhrzeit im Posteingangsstempel München: „4–5 Nm.“ (= 16 bis 17 Uhr). Im Tagebuch ist der Eingang des Briefes unter dem 21.8.1889 vermerkt: „Brief von Minna, worin sie behauptet an einem Babyfieber zu leiden.“ [Tb]

Erstdruck

Pharus I. Frank Wedekind. Texte, Interviews, Studien

Titel des Aufsatzes:
Eine Lenzburger Jugendfreundschaft. Der Briefwechsel zwischen Frank Wedekind und Minna von Greyerz.
Autor:
Elke Austermühl
Herausgeber:
Elke Austermühl, Alfred Kessler, Hartmut Vinçon. Editions- und Forschungsstelle Frank Wedekind
Ort der Herausgabe:
Darmstadt
Verlag:
Verlag der Georg Büchner Buchhandlung
Seitenangabe:
406-407
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 56
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Minna von Greyerz an Frank Wedekind, 17.8.1889. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (11.04.2025).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

04.02.2025 13:57