[1. Briefentwurf]
Sehr geehrter Herr!
Auf Ihre geehrten Zeilen vom 18 dsZu diesem Brief der Literarischen Gesellschaft Dresden ist nur ein Briefentwurf vom 11.4.1904 überliefert [vgl. Literarische Gesellschaft Dresden an Wedekind, 18.4.1904]. habe ich Ihnen folgendes
zu erwie/d/ern:
Sie schreiben mir: „Es dürfte Ihnendas Zitat so auch im Briefentwurf vom 11.4.1904 [vgl. Literarische Gesellschaft Dresden an Wedekind, 18.4.1904]. wol nicht unbekannt
sein, daß keine Bühne Dresdens Ihren Kammersänger zur Aufführung gebracht haben
würde.“ Das ist mir allerdings derart unbekannt daß ich Ihnen das Gegentheil
beweisen kann. Das Dresdener Residenztheater hatte das Aufführungsrecht für
Kammer
[2. Abgesandter Brief:]
Sehr
geehrter Herr!
Sie
gehen in der Beantwortung meines Schreibens von der eigenthümlichen
Voraussetzung aus, daß mein „Kammersänger“ ohne die literarische Gesellschaft
von keiner Bühne Dresdens zur Aufführung gebracht worden wäre. Diese
Voraussetzung ist falsch, obschon Sie dabei den Ausdruck brauchen: „Es dürfte
Ihnen doch wol nicht unbekannt sein.“ Das Dresdener Residenztheater hatte das
RechtWedekind schrieb seinem Schwager Walther Oschwald, dass der „Kammersänger“ im Winter am Dresdner Residenztheater aufgeführt würde [vgl. Wedekind an Walther Oschwald, 8.9.1900]., das Stück aufzuführen, erworben und die Aufführung nur deshalb
verzögert, weil es sich für die Hauptrolle, wie Herr
Direktor KarlDas Residenztheater Dresden wurde seit dem Tod seines Direktors Engelbert Karl am 11.10.1891 von dessen Witwe Madelaine Karl geleitet [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 322]. mir schriebnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Madelaine Karl an Wedekind, 1.12.1900., noch kein geeigneter Darsteller gefunden hatte. Daß
ich durch die Aufführung der Literarischen Gesellschaft, a/i/n deren
Vorzüglichkeit ich übrigens nicht den geringsten Zweifel setze, also pekuniärdas Geld betreffend.
geschädigt worden bin, ist keine eigenthümliche Begründungim überlieferten Entwurf nicht genannt [vgl. Literarische Gesellschaft Dresden an Wedekind, 18.4.1904]., wie Sie sich
ausdrückenDie Passage findet sich im Briefentwurf vom 11.4.1904 nicht [vgl. Literarische Gesellschaft Dresden an Wedekind, 18.4.1904]., sondern eine Thatsache. Wenn ich den Schaden danach | berechne, was
mir das Stück in anderen Städten eingetragen hat, dann beläuft er sich auf
einige hundert Mark. Nun nehmen Sie aber für sich das Verdienst in Anspruch,
durch die Aufführung das Interesse für mich erheblich gesteigert zu haben. Ich
würde Ihnen dies Verdienst zugestehen wenn Sie ein anderes meiner Stücke auf
die Bühne gebracht hätten und nicht gerade das, welches seit vier Jahren über mindestens hundert
deutsche Bühnen gegangen ist. Ich zähle hier die Städte aus nur zwei
Abrechnungen auf, die mir gerade zur Hand sind: Köln, Metz, Berlin, Nürnberg,
Hannover, Klagenfurt, Villach, Breslau, Leipzig, Karlsruhe, Stuttgart,
Salzburg, Graz, Elberfeld, Zwickau, Wien, Hamburg. Erlauben Sie mir, Ihre
Aufmerksamkeit noch
auf folgende Thatsache zu lenken:
Ich
habe Aufführungen des Kammersänger schon zu verschiedenen Malen freigegeben und
zwar wenn die Aufführung zu einem wohlthätigen Zweck oder wenn Sie vor einem
unbemittelten Publicum stattfand. Von beiden Eventualitäten kann wol bei der
Dresdener Aufführung nicht die Rede sein. Ein Stück | das gut genug ist, um in
Wien zum Beispiel zu einem wohlthätigen Zweck gespielt zu werden, bedarf aber
doch wol nicht der Dienste einer Literarischen Gesellschaft um sich, wie die
Zeitungen schriebenVor allem die Schlussszene der „vortrefflich gespielten satirischen Szenen ‚Der Kammersänger‘ von Frank Wedekind […] fiel den Zuschauern auf die Nerven und weckte zischende und pfeifende Opposition.“ [Dresdner Journal, Nr. 95, 27.4.1903, S. (1)] „Diesen brutalen Schluss nahm ein Teil des Publikums gestern mittag mit so unverhohlenem Mißfallen auf, daß neben starkem Zischen sogar Pfiffe hörbar wurden.“ [Dresdner Nachrichten, Nr. 116, 27.4.1903, S. (2)], auspfeifen zu lassen.
Die
literarische Gesellschaft in LeipzigDen Vorsitz der Literarischen Gesellschaft Leipzig hatte Kurt Martens (Haydnstraße 1), Schatzmeister und artistischer Direktor war Carl Heine (Lampestraße 3) [vgl. Leipziger Adreß-Buch 1898, Teil II, S. 220]. führte vor sechs JahrenDie Uraufführung von „Der Erdgeist“ fand am 25.2.1898 durch das Ibsen-Theater, dem Theater der Literarischen Gesellschaft Leipzig, im Krystall-Palast unter der Regie von Carl Heine statt. meinen „Erdgeist“
auf, als von mir überhaupt noch kein Werk auf die Bühne gelangt war, und ließ
es sich darum doch nicht nehmen, mir ein entsprechendes Honorar auszuzahlen.
Die
dramatische Gesellschaft in München1. Vorsitzender der Münchener dramatischen Gesellschaft war Dr. jur. Fritz Braumüller, Dramaturg am Münchner Schauspielhaus [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 441]. Einige Wochen später wurde er von Michael Georg Conrad abgelöst: „Die Gesellschaft teilt uns mit, daß neben Dr. Fritz Braumüller, der das Amt des zweiten Vorsitzenden nach wie vor beibehält, Dr. Michael Georg Conrad erster Vorsitzender geworden ist.“ [Münchner Dramatische Gesellschaft. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 57, Nr. 238, 22.5.1904, S. 5] führte vor einigen WochenNach der Uraufführung der Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am Intimen Theater Nürnberg (Regie: Emil Meßthaler) in einer geschlossenen Veranstaltung am 1.2.1904 trat das Nürnberger Ensemble am 29.3.1904 am Münchner Schauspielhaus einmalig mit einem ebenfalls nicht-öffentlichen Gastspiel auf [vgl. KSA 3/II, S. 1205]. Die Presse berichtete: „Im Schauspielhause fand gestern Frank Wedekinds dreiaktige Tragödie ‚Die Büchse der Pandora‘ in der durch die Münchner Dramatische Gesellschaft veranstalteten Subskriptionsvorstellung des Nürnberger Intimen Theaters eine scharf geteilte Aufnahme. Der Kampf der Parteien artete zuletzt in einen Theaterskandal erster Güte aus, doch dankte Wedekind mehrmals mit den Darstellern für den durch ein wahres Pfeifkonzert bestrittenen Applaus.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 57, Nr. 151, 30.3.1904, Morgenblatt, S. 4]Nach der Uraufführung der Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am Intimen Theater Nürnberg (Regie: Emil Meßthaler) in einer geschlossenen Veranstaltung am 1.2.1904 trat das Nürnberger Ensemble am 29.3.1904 am Münchner Schauspielhaus einmalig mit einem ebenfalls nicht-öffentlichen Gastspiel auf [vgl. KSA 3/II, S. 1205]. Die Presse berichtete: „Im Schauspielhause fand gestern Frank Wedekinds dreiaktige Tragödie ‚Die Büchse der Pandora‘ in der durch die Münchner Dramatische Gesellschaft veranstalteten Subskriptionsvorstellung des Nürnberger Intimen Theaters eine scharf geteilte Aufnahme. Der Kampf der Parteien artete zuletzt in einen Theaterskandal erster Güte aus, doch dankte Wedekind mehrmals mit den Darstellern für den durch ein wahres Pfeifkonzert bestrittenen Applaus.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 57, Nr. 151, 30.3.1904, Morgenblatt, S. 4] meinSchreibversehen, statt: meine (oder: mein Stück). „Büchse der
Pandora“ auf, ein Stück von dem noch keine öffentliche Vorstellung sattgefunden
hat, und ließ es sich darum doch nicht nehmen mir ein entsprechendes Honorar
auszuzahlen.
In
diesen beiden Fällen fand eine ganz andere Förderung der ideellen Interessen
des Autors statt. Mit der Aufführung des Kammersängers e/k/ann sich die
Literarische Gesellschaft in Dresden dieses Vorzuges gewiß nicht rühmen. Wenn
sie sich daher den Vorwurf ersparen will, die einen von ihr |
aufgeführten Autor thatsächlich geschädigt zu haben, so wird sie sich wol
bereit finden mir das Honorar in der bezeichneten HöheWedekind verlangte 100 Mark [vgl. Wedekind an die Literarische Gesellschaft Dresden, 7.4.1904]. zukommen zu lassen.
Hochachtungsvoll
Frank Wedekind.
München
Franz Josefstraße 42.
23. April 1904.