Kennung: 5348

Lenzburg, 1. Dezember 1885 (Dienstag), Briefzitat

Autor*in

  • Wedekind, Emilie

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

[1. Hinweis, Referat und Zitat in Kutscher 1, S. 106f.:]


Frau Wedekind schildert im Dezember 85 die schöne eitle FrauBertha Jahn, Mutter von vier Kindern, seit Herbst 1882 verwitwet, war Inhaberin der Lenzburger Löwenapotheke. Sie wurde zur vertrauten Kritikerin von Wedekinds literarischen Projekten, zu der er seit Herbst 1884 auch eine erotische Beziehung pflegte; Wedekinds ‚erotische Tante‘. Ihr Name ist im Briefzitat vermutlich durch Kutscher mit einen „X“ verschleiert., welche noch als Ballmutter reizvoll genug war, um junge Damen eifersüchtig machen zu können, als ein Wesen von tiefem Gemüt und hohem Glauben an alles Gute, Große und Schöne, deren Zuneigung sich der Sohn ganz würdig erweisen solle. Aber, meint sie „Es fehlt ihr jene heilige Weihe, die dem Menschen durch erlebtes Unglück aufgedrückt wird. Sie war stets, sowohl von ihrem Vater, als auch von ihrem Manne verhätschelt worden, und sie kennt jene grenzenlose Erbitterung nicht, die durch die Ungerechtigkeit von Menschen hervorgerufen wird, die, je mehr wir sie lieben, desto schmerzlicher verletzen und verwunden. – Daher kommt es auch, daß sich X noch so viele Illusionen bewahrt hat, daher auch ihre in meinen Augen manchmal grenzenlose Unbedachtsamkeit. Sie kennt das Gebranntsein nicht, fürchtet daher auch kein Feuer und glaubt, daß es denjenigen, die auf dem Marterroste liegen, nicht mehr weh tue. Das ist, objektiv betrachtet, ganz schön und gut, und man kann sich freuen, in unseren Zeiten der extremen Empfindung noch jemand zu finden, der vom Leben so sanft angefaßt worden ist. Ich erfreue mich auch an dieser Erscheinung wie an einer duftvollen, exotischen Blume, besonders da sich bei unserer lieben Freundin zu ihren Eigenschaften noch diejenige ungewöhnlicher Menschenliebe und Duldsamkeit gesellt. Allein, um mich ganz befriedigt zu fühlen, und um sie zu meiner Freundin zu machen, fehlt mir an ihr die tragische, tiefe Färbung, jenes Verständnis für Handlungen, welche durch die Macht der Verzweiflung hervorgerufen werden, und die über alles Konventionelle hinweg sich vor allem andern ihr Recht zu erringen trachten. Frau X opfert gewiß manches ihrem Schönheitsgefühl und läßt in Haus und Umgebung oftmals fünf gerade sein, um nicht die vornehme schöne Gemütsruhe zu stören. Sie ist kein Feuergeist, sondern ein anmutiges, lächelndes Idyll.“


[2. Hinweis und Zitat in Kutscher 1, S. 124:]


Und im Dezember 85: „Es ist merkwürdig, daß ich sonst gar keinen Beweggrund habe, Dir zu schreiben, als eben das Pflichtgefühl, Deinen Brief vom 27. NovemberWedekind hatte an diesem Datum seinem Vater geschrieben [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 27.11.1885] und in dem Brief seiner Mutter Grüße bestellt. beantworten zu sollen. Kommt wohl der Mangel an Mitteilungsdrang daher, daß ich die ganze Zeit Deiner AbwesenheitNachdem Wedekind die zweite Hälfte der Semesterferien in Lenzburg verbracht hatte, war er am 2.11.1885 zum Studium nach München abgereist [vgl. Frank Wedekind an William Wedekind, 28.10.1885]. nur mit unerquicklichen Haushaltungsangelegenheiten und etwa Gartenarbeit beschäftigt war, mit welchen zu unterhalten ich Dich verschonen will, oder ist es wieder jene geistige Apathie, die mich früher schon so sehr in Banden gefangen gehalten hatte? Ich kann darauf nicht selber antworten. Ich tröste mich jedoch mit dem Gedanken, daß auch Du, mein geistreicher Sohn, einen ganzen Monat sammeln mußtest, bis Du Material genug zum Ausfüllen eines Briefes hattest. Vergleicht man nun Lenzburgs Produktivität an brieffähigen Artikeln mit München, so rechne ich, kommt ein Verhältnis heraus wie 1:10, sodaß ich ganz getrost noch neun Monate hätte warten können. Da ich aber als Mutter die Pflicht habe, meinen Kindern mit guten Beispielen zu imponieren, will ich nun eben probieren, mit wenig Mitteln Großes zu vollbringen.“

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 1.12.1885 ist als Ankerdatum gesetzt – das früheste mögliche Schreibdatum, der Angabe Kutschers zufolge, dass die Zitate aus dem Dezember 1885 stammen. Ob sie aus dem gleichen Brief sind, ist ungewiss.

  • Schreibort

    Lenzburg
    1. Dezember 1885 (Dienstag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 1.12.1885. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (08.04.2025).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

05.02.2025 12:09